Viertes Buch Die Revolution “Aber sie treiben’s toll; Ich fuercht’, es breche”. Nicht jeden Wochenschluss Macht Gott die Zeche. Goethe 1. Kapitel Die untertaenigen Landschaften bis zu der Gracchenzeit Mit der Vernichtung des Makedonischen Reichs ward die Oberherrlichkeit Roms eine Tatsache, die von den Saeulen des Hercules bis zu den Muendungen des Nil und des Orontes nicht bloss feststand, sondern gleichsam als das letzte Wort des Verhaengnisses auf den Voelkern lastete mit dem ganzen Druck der Unabwendbarkeit und ihnen nur die Wahl zu lassen schien, sich in hoffnungslosem Widerstreben oder in hoffnungslosem Dulden zu verzehren. Wenn nicht die Geschichte von dem ernsten Leser es als ihr Recht fordern duerfte, sie durch gute und boese Tage, durch Fruehlings- und Winterlandschaft zu begleiten, so moechte der Geschichtschreiber versucht sein, sich der trostlosen Aufgabe zu entziehen, diesem Kampf der Uebermacht mit der Ohnmacht sowohl in den schon zum Roemischen Reich gezogenen spanischen Landschaften wie in den noch nach Klientelrecht beherrschten afrikanischen, hellenischen, asiatischen Gebieten in seinen mannigfaltigen und doch eintoenigen Wendungen zu folgen. Aber wie unbedeutend und untergeordnet auch die einzelnen Kaempfe erscheinen moegen, eine tiefe geschichtliche Bedeutung kommt ihnen in ihrer Gesamtheit dennoch zu; und vor allem die italischen Verhaeltnisse dieser Zeit werden erst verstaendlich durch die Einsicht in den Rueckschlag, der von den Provinzen aus auf die Heimat traf. Ausser in den naturgemaess als Nebenlaender Italiens anzusehenden Gebieten, wo uebrigens auch die Eingeborenen noch keineswegs vollstaendig unterworfen waren und, nicht eben zur Ehre Roms, Ligurer, Sarder und Korsen fortwaehrend Gelegenheit zu “Dorftriumphen” lieferten, bestand eine foermliche Herrschaft Roms zu Anfang dieser Periode nur in den beiden spanischen Provinzen, die den groesseren oestlichen und suedlichen Teil der Pyrenaeischen Halbinsel umfassten. Es ist schon frueher versucht worden, die Zustaende der Halbinsel zu schildern: Iberer und Kelten, Phoeniker, Hellenen, Roemer mischten sich hier bunt durcheinander; gleichzeitig und vielfach sich durchkreuzend bestanden daselbst die verschiedensten Arten und Stufen der Zivilisation, die altiberische Kultur neben vollstaendiger Barbarei, die Bildungsverhaeltnisse phoenikischer und griechischer Kaufstaedte neben der aufkeimenden Latinisierung, die namentlich durch die in den Silberbergwerken zahlreich beschaeftigten Italiker und durch die starke stehende Besatzung gefoerdert ward. In dieser Hinsicht erwaehnenswert sind die roemische Ortschaft Italica (bei Sevilla) und die latinische Kolonie Carteia (an der Bai von Gibraltar), die letztere die erste ueberseeische Stadtgemeinde latinischer Zunge und italischer Verfassung. Italica wurde von dem aelteren Scipio, noch ehe er Spanien verliess (548 206), fuer seine zum Verbleiben auf der Halbinsel geneigten Veteranen gegruendet, wahrscheinlich indes nicht als Buergergemeinde, sondern nur als Marktort ^1; Carteias Gruendung faellt in das Jahr 583 (171) und ward veranlasst durch die Menge der von roemischen Soldaten mit spanischen Sklavinnen erzeugten Lagerkinder, welche rechtlich als Sklaven, tatsaechlich als freie Italiker aufwuchsen und nun von Staats wegen freigesprochen und in Verbindung mit den alten Einwohnern von Carteia als latinische Kolonie konstituiert wurden. Beinahe dreissig Jahre nach der Ordnung der Ebroprovinz durch Tiberius Sempronius Gracchus (575, 576 179, 178) genossen die spanischen Landschaften im ganzen ungestoert die Segnungen des Friedens, obwohl ein paarmal von Kriegszuegen gegen die Keltiberer und Lusitaner die Rede ist. Aber ernstere Ereignisse traten im Jahre 600 (154) ein. Unter Fuehrung eines Haeuptlings Punicus fielen die Lusitaner ein in das roemische Gebiet, schlugen die beiden gegen sie vereinigten roemischen Statthalter und toeteten ihnen eine grosse Anzahl Leute. Die Vettonen (zwischen dem Tajo und dem oberen Duero) wurden hierdurch bestimmt, mit den Lusitanern gemeinschaftliche Sache zu machen; so verstaerkt vermochten diese ihre Streifzuege bis an das Mittellaendische Meer auszudehnen und sogar das Gebiet der Bastulophoeniker unweit der roemischen Hauptstadt Neukarthago (Cartagena) zu brandschatzen. Man nahm in Rom die Sache ernst genug, um die Absendung eines Konsuls nach Spanien zu beschliessen, was seit 559 (195) nicht geschehen war, und liess sogar zur Beschleunigung der Hilfsleistung die neuen Konsuln zwei und einen halben Monat vor der gesetzlichen Zeit ihr Amt antreten – es war dies die Ursache, weshalb der Amtsantritt der Konsuln vom 15. Maerz sich auf den 1. Januar verschob und damit derjenige Jahresanfang sich feststellte, dessen wir noch heute uns bedienen. Allein ehe noch der Konsul Quintus Fulvius Nobilior mit seiner Armee eintraf, kam es zwischen dem Statthalter des Jenseitigen Spaniens, dem Praetor Lucius Mummius, und den jetzt nach Punicus’ Fall von seinem Nachfolger Kaesarus gefuehrten Lusitanern am rechten Ufer des Tajo zu einem sehr ernsthaften Treffen (601 158). Das Glueck war anfangs den Roemern guenstig; das lusitanische Heer ward zersprengt, das Lager genommen. Allein, teils bereits vom Marsch ermuedet, teils in der Unordnung des Nachsetzens sich aufloesend, wurden sie von den schon besiegten Gegnern schliesslich vollstaendig geschlagen und buessten zu dem feindlichen Lager das eigene sowie an Toten 9000 Mann ein. Weit und breit loderte jetzt die Kriegsflamme auf. Die Lusitaner am linken Ufer des Tajo warfen sich unter Anfuehrung des Kaukaenus auf die den Roemern untertaenigen Keltiker (in Alentejo) und nahmen ihre Stadt Conistorgis weg. Den Keltiberern sandten die Lusitaner die dem Mummius abgenommenen Feldzeichen zugleich als Siegesbotschaft und als Mahnung zu; und auch hier fehlte es nicht an Gaerungsstoff. Zwei kleine, den maechtigen Arevakern (um die Quellen des Duero und Tajo) benachbarte Voelkerschaften Keltiberiens, die Beller und Titther, hatten beschlossen, in eine ihrer Staedte, Segeda, sich zusammenzusiedeln. Waehrend sie mit dem Mauerbau beschaeftigt waren, ward ihnen dieser roemischerseits untersagt, da die Sempronischen Ordnungen den unterworfenen Gemeinden jede eigenmaechtige Staedtegruendung verboeten, und zugleich die vertragsmaessig schuldige, aber seit laengerer Zeit nicht verlangte Leistung an Geld und Mannschaft eingefordert. Beiden Befehlen weigerten die Spanier den Gehorsam, da es sich nur um Erweiterung, nicht um Gruendung einer Stadt handle, die Leistungen aber nicht bloss suspendiert, sondern von den Roemern erlassen seien. Darueber erschien Nobilior im Diesseitigen Spanien mit einem fast 30000 Mann starken Heer, unter dem auch numidische Reiter und zehn Elefanten sich befanden. Noch standen die Mauern der neuen Stadt nicht vollstaendig; die meisten Segedaner unterwarfen sich. Allein die entschlossensten fluechteten mit Weib und Kind zu den maechtigen Arevakern und forderten sie auf, mit ihnen gegen die Roemer gemeinschaftliche Sache zu machen. Die Arevaker, ermutigt durch den Sieg der Lusitaner ueber Mummius, gingen darauf ein und waehlten einen der fluechtigen Segedaner, Karus, zu ihrem Feldherrn. Am dritten Tag nach seiner Wahl war der tapfere Fuehrer eine Leiche, aber das roemische Heer geschlagen und bei 6000 roemische Buerger getoetet – der Tag des 23. August, das Fest der Volkanalien, blieb seitdem den Roemern in schlimmer Erinnerung. Doch bewog der Fall ihres Feldherrn die Arevaker, sich in ihre festeste Stadt Numantia (Garray, eine Legua noerdlich von Soria am Duero) zurueckzuziehen, wohin Nobilior ihnen folgte. Unter den Mauern der Stadt kam es zu einem zweiten Treffen, in welchem die Roemer anfaenglich durch ihre Elefanten die Spanier in die Stadt zurueckdraengten, aber dabei infolge der Verwundung eines der Tiere in Verwirrung gerieten und durch die abermals ausrueckenden Feinde eine zweite Niederlage erlitten. Dieser und andere Unfaelle, wie die Vernichtung eines zur Herbeirufung von Zuzugmannschaft ausgesandten roemischen Reiterkorps, gestalteten die Angelegenheiten der Roemer in der diesseitigen Provinz so unguenstig, dass die Festung Okilis, wo die Kasse und die Vorraete der Roemer sich befanden, zum Feinde uebertrat und die Arevaker daran denken konnten, freilich ohne Erfolg, den Roemern den Frieden zu diktieren. Einigermassen wurden indes diese Nachteile aufgewogen durch die Erfolge, die Mummius in der suedlichen Provinz erfocht. So geschwaecht auch durch die erlittene Niederlage sein Heer war, gelang es ihm dennoch, mit demselben den unvorsichtig sich zerstreuenden Lusitanern am rechten Tajoufer eine Niederlage beizubringen und, uebergehend auf das linke, wo die Lusitaner das ganze roemische Gebiet ueberrannt, ja bis nach Afrika gestreift hatten, die suedliche Provinz von den Feinden zu saeubern. In die noerdliche sandte das folgende Jahr (602 152) der Senat ausser betraechtlichen Verstaerkungen einen andern Oberfeldherrn an der Stelle des unfaehigen Nobilior, den Konsul Marcus Claudius Marcellus, der schon als Praetor 586 (168) sich in Spanien ausgezeichnet und seitdem in zwei Konsulaten sein Feldherrntalent bewaehrt hatte. Seine geschickte Fuehrung und mehr noch seine Milde aenderte die Lage der Dinge schnell: Okilis ergab sich ihm sofort, und selbst die Arevaker, von Marcellus in der Hoffnung bestaerkt, dass ihnen gegen eine maessige Busse Friede gewaehrt werden wuerde, schlossen Waffenstillstand und schickten Gesandte nach Rom. Marcellus konnte sich nach der suedlichen Provinz begeben, wo die Vettonen und Lusitaner sich dem Praetor Marcus Atilius zwar botmaessig erwiesen hatten, solange er in ihrem Gebiet stand, allein nach seiner Entfernung sofort wieder aufgestanden waren und die roemischen Verbuendeten heimsuchten. Die Ankunft des Konsuls stellte die Ordnung wieder her, und waehrend er in Corduba ueberwinterte, ruhten auf der ganzen Halbinsel die Waffen. Inzwischen ward in Rom ueber den Frieden mit den Arevakern verhandelt. Es ist bezeichnend fuer die inneren Verhaeltnisse Spaniens, dass vornehmlich die Sendlinge der bei den Arevakern bestehenden roemischen Partei die Verwerfung der Friedensvorschlaege in Rom durchsetzten, indem sie vorstellten, dass, wenn man die roemisch gesinnten Spanier nicht preisgeben wolle, nur die Wahl bleibe, entweder jaehrlich einen Konsul mit entsprechendem Heer nach der Halbinsel zu senden oder jetzt ein nachdrueckliches Exempel zu statuieren. Infolgedessen wurden die Boten der Arevaker ohne entscheidende Antwort verabschiedet und die energische Fortsetzung des Krieges beschlossen. Marcellus sah sich demnach genoetigt, im folgenden Fruehjahr (603 151) den Krieg gegen die Arevaker wieder zu beginnen. Indes sei es nun, wie behauptet wird, dass er den Ruhm, den Krieg beendigt zu haben, seinem bald zu erwartenden Nachfolger nicht goennte, sei es, was vielleicht wahrscheinlicher ist, dass er gleich Gracchus in der milden Behandlung der Spanier die erste Bedingung eines dauerhaften Friedens sah – nach einer geheimen Zusammenkunft des roemischen Feldherrn mit den einflussreichsten Maennern der Arevaker kam unter den Mauern von Numantia ein Traktat zustande, durch den die Arevaker den Roemern sich auf Gnade und Ungnade ergaben, aber unter Verpflichtung zu Geldzahlung und Geiselstellung in ihre bisherigen vertragsmaessigen Rechte wiedereingesetzt wurden. ————————————— ^1 Italica wird durch Scipio das geworden sein, was in Italien forum et conciliabulum civium Romanorum hiess; aehnlich ist spaeter Aquae Sextiae in Gallien entstanden. Die Entstehung ueberseeischer Buergergemeinden beginnt erst spaeter mit Karthago und Narbo; indes ist es merkwuerdig, dass in gewissem Sinne doch auch dazu schon Scipio den Anfang machte. —————————————- Als der neue Oberfeldherr, der Konsul Lucius Lucullus, bei dem Heere eintraf, fand er den Krieg, den zu fuehren er gekommen war, bereits durch foermlichen Friedensschluss beendigt, und seine Hoffnung, Ehre und vor allem Geld aus Spanien heimzubringen, schien vereitelt. Indes dafuer gab es Rat. Auf eigene Hand griff Lucullus die westlichen Nachbarn der Arevaker, die Vaccaeer, an, eine noch unabhaengige keltiberische Nation, die mit den Roemern im besten Einvernehmen lebte. Auf die Frage der Spanier, was sie denn gefehlt haetten, war die Antwort: der Ueberfall der Stadt Cauca (Coca, acht Leguas westlich von Segovia); und als die erschreckte Stadt mit schweren Geldopfern die Kapitulation erkauft zu haben meinte, rueckten roemische Truppen in sie ein und knechteten oder mordeten die Einwohnerschaft ohne jeglichen Vorwand. Nach dieser Heldentat, die etwa 20000 wehrlosen Menschen das Leben gekostet haben soll, ging der Marsch weiter. Weit und breit standen die Doerfer und Ortschaften leer oder schlossen, wie das feste Intercatia und die Hauptstadt der Vaccaeer, Pallantia (Palencia), dem roemischen Heere ihre Tore. Die Habsucht hatte in ihren eigenen Netzen sich gefangen; keine Gemeinde fand sich, die mit dem treubruechigen Feldherrn eine Kapitulation haette abschliessen moegen, und die allgemeine Flucht der Bewohner machte nicht bloss die Beute karg, sondern auch das laengere Verweilen in diesen unwirtlichen Gegenden fast unmoeglich. Vor Intercatia gelang es einem angesehenen Kriegstribun, dem Scipio Aemilianus, leiblichem Sohn des Siegers von Pydna und Adoptivenkel des Siegers von Zama, durch sein Ehrenwort, da das des Feldherrn nichts mehr galt, die Bewohner zum Abschluss eines Vertrages zu bestimmen, infolgedessen das roemische Heer gegen Lieferung von Vieh und Kleidungsstuecken abzog. Aber die Belagerung von Pallantia musste wegen Mangels an Lebensmitteln aufgehoben werden, und das roemische Heer ward auf dem Rueckmarsch von den Vaccaeern bis zum Duero verfolgt. Lucullus begab sich darauf nach der suedlichen Provinz, wo der Praetor Servius Sulpicius Galba in demselben Jahr von den Lusitanern sich hatte schlagen lassen; beide ueberwinterten nicht fern voneinander, Lucullus im turdetanischen Gebiet, Galba bei Conistorgis, und griffen im folgenden Jahr (604 150) gemeinschaftlich die Lusitaner an. Lucullus errang an der Gaditanischen Meerenge einige Vorteile ueber sie. Galba richtete mehr aus, indem er mit drei lusitanischen Staemmen am rechten Ufer des Tajo einen Vertrag abschloss und sie in bessere Wohnsitze ueberzusiedeln verhiess, worauf die Barbaren, die der gehofften Aecker wegen, 7000 an der Zahl, sich bei ihm einfanden, in drei Abteilungen geteilt, entwaffnet und teils als Sklaven weggefuehrt, teils niedergehauen wurden. Kaum ist je mit gleicher Treulosigkeit, Grausamkeit und Habgier Krieg gefuehrt worden wie von diesen beiden Feldherren, die dennoch durch ihre verbrecherisch erworbenen Schaetze der eine der Verurteilung, der andre sogar der Anklage entging. Den Galba versuchte der alte Cato noch in seinem fuenfundachtzigsten Jahr, wenige Monate vor seinem Tode, vor der Buergerschaft zur Verantwortung zu ziehen; aber die jammernden Kinder des Generals und sein heimgebrachtes Gold erwiesen dem roemischen Volke seine Unschuld. Nicht so sehr die ehrlosen Erfolge, die Lucullus und Galba in Spanien erreicht hatten, als der Ausbruch des Vierten Makedonischen und des Dritten Karthagischen Krieges im Jahre 605 (149) bewirkte, dass man die spanischen Angelegenheiten zunaechst wieder den gewoehnlichen Statthaltern ueberliess. So verwuesteten denn die Lusitaner, durch Galbas Treulosigkeit mehr erbittert als gedemuetigt, unaufhoerlich das reiche turdetanische Gebiet. Gegen sie zog der roemische Statthalter Gaius Vetilius (607/08 147/48) 2 und schlug sie nicht bloss, sondern draengte auch den ganzen Haufen auf einen Huegel zusammen, wo derselbe rettungslos verloren schien. Schon war die Kapitulation so gut wie abgeschlossen, als Viriathus, ein Mann geringer Herkunft, aber wie einst als Bube ein tapferer Verteidiger seiner Herde gegen die wilden Tiere und Raeuber, so jetzt in ernsteren Kaempfen ein gefuerchteter Guerillachef und einer der wenigen, die dem treulosen Ueberfall Galbas zufaellig entronnen waren, seine Landsleute warnte, auf roemisches Ehrenwort zu bauen und ihnen Rettung verhiess, wenn sie ihm folgen wollten. Sein Wort und sein Beispiel wirkten; das Heer uebertrug ihm den Oberbefehl. Viriathus gab der Masse seiner Leute den Befehl, sich in einzelnen Trupps auf verschiedenen Wegen nach dem bestimmten Sammelplatz zu begeben; er selber bildete aus den bestberittenen und zuverlaessigsten Leuten ein Korps von 1000 Pferden, womit er den Abzug der Seinigen deckte. Die Roemer, denen es an leichter Kavallerie fehlte, wagten nicht, unter den Augen der feindlichen Reiter sich zur Verfolgung zu zerstreuen. Nachdem Viriathus zwei volle Tage hindurch mit seinem Haufen das ganze roemische Heer aufgehalten hatte, verschwand auch er ploetzlich in der Nacht und eilte dem allgemeinen Sammelplatz zu. Der roemische Feldherr folgte ihm, fiel aber in einen geschickt gelegten Hinterhalt, in dem er die Haelfte seines Heeres verlor und selber gefangen und getoetet ward; kaum rettete der Rest der Truppen sich an die Meerenge nach der Kolonie Carteia. Schleunigst wurden vom Ebro her 5000 Mann spanischer Landsturm zur Verstaerkung der geschlagenen Roemer gesandt; aber Viriathus vernichtete das Korps noch auf dem Marsch und gebot in dem ganzen karpetanischen Binnenland so unumschraenkt, dass die Roemer nicht einmal wagten, ihn dort aufzusuchen. Viriathus, jetzt als Herr und Koenig der saemtlichen Lusitaner anerkannt, verstand es, das volle Gewicht seiner fuerstlichen Stellung mit dem schlichten Wesen des Hirten zu vereinigen. Kein Abzeichen unterschied ihn von dem gemeinen Soldaten; von der reichgeschmueckten Hochzeitstafel seines Schwiegervaters, des Fuersten Astolpa im roemischen Spanien, stand er auf, ohne das goldene Geschirr und die kostbaren Speisen beruehrt zu haben, hob seine Braut auf das Ross und ritt mit ihr zurueck in seine Berge. Nie nahm er von der Beute mehr als denselben Teil, den er auch jedem seiner Kameraden zuschied. Nur an der hohen Gestalt und an dem treffenden Witzwort erkannte der Soldat den Feldherrn, vor allem aber daran, dass er es in Maessigkeit und in Muehsal jedem der Seinigen zuvortat, nie anders als in voller Ruestung schlief und in der Schlacht allen voran focht. Es schien, als sei in dieser gruendlich prosaischen Zeit einer der Homerischen Helden wiedergekehrt; weit und breit erscholl in Spanien der Name des Viriathus, und die tapfere Nation meinte endlich in ihm den Mann gefunden zu haben, der die Ketten der Fremdherrschaft zu brechen bestimmt sei. Ungemeine Erfolge im noerdlichen wie im suedlichen Spanien bezeichneten die naechsten Jahre seiner Feldherrnschaft. Den Praetor Gaius Plautius (608/09 146) wusste er, nachdem er dessen Vorhut vernichtet hatte, hinueber auf das rechte Tajoufer zu locken und ihn dort so nachdruecklich zu schlagen, dass der roemische Feldherr mitten im Sommer in die Winterquartiere ging – spaeter ward dafuer gegen ihn die Anklage wegen Entehrung der roemischen Gemeinde vor dem Volk erhoben und er genoetigt, die Heimat zu meiden. Desgleichen wurde das Heer des Statthalters – es scheint, der diesseitigen Provinz – Claudius Unimanus vernichtet, das des Gaius Negidius ueberwunden und weithin das platte Land gebrandschatzt. Auf den spanischen Bergen erhoben sich Siegeszeichen, die mit den Insignien der roemischen Statthalter und mit den Waffen der Legionen geschmueckt waren; bestuerzt und beschaemt vernahm man in Rom von den Siegen des Barbarenkoenigs. Zwar uebernahm jetzt ein zuverlaessiger Offizier die Fuehrung des Spanischen Krieges, der zweite Sohn des Siegers von Pydna, der Konsul Quintus Fabius Maximus Aemilianus (609 145). Allein die krieggewohnten, eben von Makedonien und Afrika heimgekehrten Veteranen aufs neue in den verhassten Spanischen Krieg zu senden, wagte man schon nicht mehr; die beiden Legionen, die Maximus mitbrachte, waren neu geworben und nicht viel minder unzuverlaessig als das alte, gaenzlich demoralisierte spanische Heer. Nachdem die ersten Gefechte wieder fuer die Lusitaner guenstig ausgefallen waren, hielt der einsichtige Feldherr den Rest des Jahres seine Truppen in dem Lager bei Urso (Osuna suedoestlich von Sevilla) zusammen, ohne die angebotene Feldschlacht zu liefern, und nahm erst im folgenden (610 144), nachdem im kleinen Krieg seine Truppen kampffaehig geworden waren, wieder das Feld, wo er dann die Ueberlegenheit zu behaupten vermochte und nach gluecklichen Waffentaten nach Corduba ins Winterlager ging. Als aber an Maximus’ Stelle der feige und ungeschickte Praetor Quinctius den Befehl uebernahm, erlitten die Roemer wiederum eine Niederlage ueber die andere und schloss ihr Feldherr sich wieder mitten im Sommer in Corduba ein, waehrend Viriathus’ Scharen die suedliche Provinz ueberschwemmten (611 143). Sein Nachfolger, des Maximus Aemilianus Adoptivbruder Quintus Fabius Maximus Servilianus, mit zwei frischen Legionen und zehn Elefanten nach der Halbinsel gesendet, versuchte, in das lusitanische Gebiet einzudringen, allein nach einer Reihe nichts entscheidender Gefechte und einem muehsam abgeschlagenen Sturm auf das roemische Lager sah er sich genoetigt, auf das roemische Gebiet zurueckzuweichen. Viriathus folgte ihm in die Provinz; da aber seine Truppen nach dem Brauch spanischer Insurgentenheere ploetzlich sich verliefen, musste auch er nach Lusitanien zurueckkehren (612 142). Im naechsten Jahre (613 141) ergriff Servilianus wieder die Offensive, durchzog die Gegenden am Baetis und Anas und besetzte sodann, in Lusitanien einrueckend, eine Menge Ortschaften. Eine grosse Zahl der Insurgenten fiel in seine Hand; die Fuehrer – es waren deren gegen 500 – wurden hingerichtet, den aus roemischem Gebiet zum Feinde Uebergegangenen die Haende abgehauen, die uebrige Masse in die Sklaverei verkauft. Aber der Spanische Krieg bewaehrte auch hier seine tueckische Unbestaendigkeit. Das roemische Heer ward nach all diesen Erfolgen bei der Belagerung von Erisane von Viriathus angegriffen, geworfen und auf einen Felsen gedraengt, wo es gaenzlich in der Gewalt der Feinde war. Viriathus indes begnuegte sich, wie einst der Samnitenfeldherr in den Caudinischen Paessen, mit Servilianus einen Frieden abzuschliessen, worin die Gemeinde der Lusitaner als souveraen und Viriathus als Koenig derselben anerkannt ward. Die Macht der Roemer war nicht mehr gestiegen als das nationale Ehrgefuehl gesunken; man war in der Hauptstadt froh, des laestigen Krieges entledigt zu sein, und Senat und Volk gaben dem Vertrage die Ratifikation. Allein des Servilianus leiblicher Bruder und Amtsnachfolger Quintus Servilius Caepio war mit dieser Nachgiebigkeit wenig zufrieden und der Senat schwach genug, anfangs den Konsul zu heimlichen Machinationen gegen den Viriathus zu bevollmaechtigen und bald ihm den offenen, unbeschoenigten Bruch des gegebenen Treuworts wenigstens nachzusehen. So drang Caepio in Lusitanien ein und durchzog das Land bis zu dem Gebiet der Vettonen und Callaeker; Viriathus vermied den Kampf mit der Uebermacht und entzog sich durch geschickte Bewegungen dem Gegner (614 140). Als aber im folgenden Jahre (615 139) nicht bloss Caepio den Angriff erneuerte, sondern auch das in der noerdlichen Provinz inzwischen verfuegbar gewordene Heer unter Marcus Popillius in Lusitanien erschien, bat Viriathus um Frieden unter jeder Bedingung. Er ward geheissen, alle aus dem roemischen Gebiet zu ihm uebergetretenen Leute, darunter seinen eigenen Schwiegervater, an die Roemer auszuliefern; es geschah, und die Roemer liessen dieselben hinrichten oder ihnen die Haende abhauen. Allein es war damit nicht genug; nicht auf einmal pflegten die Roemer den Unterworfenen anzukuendigen, was ueber sie verhaengt war. Ein Befehl nach dem andern, und immer der folgende unertraeglicher als die vorhergehenden, erging an die Lusitaner, und schliesslich ward sogar die Auslieferung der Waffen von ihnen gefordert. Da gedachte Viriathus abermals des Schicksals seiner Landsleute, die Galba hatte entwaffnen lassen, und griff aufs neue zum Schwert, aber zu spaet. Sein Schwanken hatte in seiner naechsten Umgebung die Keime des Verrats gesaet; drei seiner Vertrauten, Audas, Ditalko und Minucius aus Urso, verzweifelnd an der Moeglichkeit, jetzt noch zu siegen, erwirkten von dem Koenig die Erlaubnis, noch einmal mit Caepio Friedensunterhandlungen anzuknuepfen, und benutzten sie, um gegen Zusicherung persoenlicher Amnestie und weiterer Belohnungen das Leben des lusitanischen Helden den Fremden zu verkaufen. Zurueckgekehrt in das Lager, versicherten sie den Koenig des guenstigsten Erfolgs ihrer Verhandlungen und erdolchten die Nacht darauf den Schlafenden in seinem Zelte. Die Lusitaner ehrten den herrlichen Mann durch eine Totenfeier ohnegleichen, bei der zweihundert Fechterpaare die Leichenspiele fochten; hoeher noch dadurch, dass sie den Kampf nicht aufgaben, sondern an die Stelle des gefallenen Helden den Tautamus zu ihrem Oberfeldherrn ernannten. Kuehn genug war auch der Plan, den dieser entwarf, den Roemern Sagunt zu entreissen; allein der neue Feldherr besass weder seines Vorgaengers weise Maessigung noch dessen Kriegsgeschick. Die Expedition scheiterte voellig, und auf der Rueckkehr ward das Heer bei dem Uebergang ueber den Baetis angegriffen und genoetigt, sich unbedingt zu ergeben. Also, weit mehr durch Verrat und Mord von Fremden wie von Eingeborenen als durch ehrlichen Krieg, ward Lusitanien bezwungen. —————————————– 2 Die Chronologie des Viriathischen Krieges ist wenig gesichert. Es steht fest, dass Viriathus’ Auftreten von dem Kampf mit Vetilius datiert (App. Hisp. 61; Liv. 52; Oros. hist. 5, 4) und dass er 615 (130) umkam (Diod. Vat. p. 110 u. a. m.); die Dauer seines Regiments wird auf acht (App. Hisp. 63), zehn (Iust. 44, 2), elf (Diod. p. 597), fuenfzehn (Liv. 54; Eutr. 4, 16; Oros. hist. 5, 4; Flor. epit. 1, 33) und zwanzig Jahre (Vell. 2, 90) berechnet. Der erste Ansatz hat deswegen einige Wahrscheinlichkeit, weil Viriathus’ Auftreten sowohl bei Diodor (p. 591; Vat. p. 107 108) wie auch bei Orosius (hist. 5, 4) an die Zerstoerung von Korinth angeknuepft wird. Von den roemischen Statthaltern, mit denen sich Viriathus schlug, gehoeren ohne Zweifel mehrere der noerdlichen Provinz an, da Viriathus zwar vorwiegend, aber nicht ausschliesslich in der suedlichen taetig war (Liv. 52); man darf also nicht nach der Zahl dieser Namen die Zahl der Jahre seiner Feldherrnschaft berechnen. ————————————— Waehrend die suedliche Provinz durch Viriathus und die Lusitaner heimgesucht ward, war nicht ohne deren Zutun in der noerdlichen bei den keltiberischen Nationen ein zweiter, nicht minder ernster Krieg ausgebrochen. Viriathus’ glaenzende Erfolge bewogen im Jahre 610 (144) die Arevaker, gleichfalls gegen die Roemer sich zu erheben, und es war dies die Ursache, weshalb der zur Abloesung des Maximus Aemilianus nach Spanien gesandte Konsul Quintus Caecilius Metellus nicht nach der suedlichen Provinz ging, sondern gegen die Keltiberer sich wandte. Auch gegen sie bewaehrte er, namentlich waehrend der Belagerung der fuer unbezwinglich gehaltenen Stadt Contrebia, dieselbe Tuechtigkeit, die er bei der Ueberwindung des makedonischen Pseudophilipp bewiesen hatte; nach zweijaehriger Verwaltung (611, 612 143, 142) war die noerdliche Provinz zum Gehorsam zurueckgebracht. Nur die beiden Staedte Termantia und Numantia hatten noch den Roemern die Tore nicht geoeffnet; auch mit diesen aber war die Kapitulation fast schon abgeschlossen und der groesste Teil der Bedingungen von den Spaniern erfuellt. Als es jedoch zur Ablieferung der Waffen kam, ergriff auch sie eben wie den Viriathus jener echt spanische Stolz auf den Besitz des wohlgefuehrten Schwertes, und es ward beschlossen, unter dem kuehnen Megaravicus den Krieg fortzusetzen. Es schien eine Torheit; das konsularische Heer, dessen Befehl 613 (141) der Konsul Quintus Pompeius uebernahm, war viermal so stark als die gesamte waffenfaehige Bevoelkerung von Numantia. Allein der voellig kriegsunkundige Feldherr erlitt unter den Mauern beider Staedte so harte Niederlagen (613, 614 141, 140), dass er endlich es vorzog, den Frieden, den er nicht erzwingen konnte, durch Unterhandlungen zu erwirken. Mit Termantia muss ein definitives Abkommen getroffen sein; auch den Numantinern sandte der roemische Feldherr ihre Gefangenen zurueck und forderte die Gemeinde unter dem geheimen Versprechen guenstiger Behandlung auf, sich ihm auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Die Numantiner, des Krieges muede, gingen darauf ein, und der Feldherr beschraenkte in der Tat seine Forderungen auf das moeglichst geringe Mass. Gefangene, Ueberlaeufer, Geiseln waren abgeliefert und die bedungene Geldsumme groesstenteils gezahlt, als im Jahre 615 (139) der neue Feldherr Marcus Popillius Laenas im Lager eintraf. Sowie Pompeius die Last des Oberbefehls auf fremde Schultern gewaelzt sah, ergriff er, um sich der in Rom seiner wartenden Verantwortung fuer den nach roemischen Begriffen ehrlosen Frieden zu entziehen, den Ausweg, sein Wort nicht etwa bloss zu brechen, sondern zu verleugnen und, als die Numantiner kamen, um die letzte Zahlung zu machen, ihren und seinen Offizieren ins Gesicht den Abschluss des Vertrages einfach in Abrede zu stellen. Die Sache ging zur rechtlichen Entscheidung an den Senat nach Rom; waehrend dort darueber verhandelt ward, ruhte vor Numantia der Krieg und beschaeftigte sich Laenas mit einem Zug nach Lusitanien, wo er die Katastrophe des Viriathus beschleunigen half, und mit einem Streifzug gegen die den Numantinern benachbarten Lusonen. Als endlich vom Senat die Entscheidung kam, lautete sie auf Fortsetzung des Krieges – man beteiligte sich also von Staats wegen an dem Bubenstreich des Pompeius. Mit ungeschwaechtem Mut und erhoehter Erbitterung nahmen die Numantiner den Kampf wieder auf; Laenas focht ungluecklich gegen sie und nicht minder sein Nachfolger Gaius Hostilius Mancinus (617 137). Aber die Katastrophe fuehrten weit weniger die Waffen der Numantiner herbei als die schlaffe und elende Kriegszucht der roemischen Feldherrn und die Folge derselben, die von Jahr zu Jahr ueppiger wuchernde Liederlichkeit, Zuchtlosigkeit und Feigheit der roemischen Soldaten. Das blosse, ueberdies falsche Geruecht, dass die Kantabrer und Vaccaeer zum Entsatz von Numantia heranrueckten, bewog das roemische Heer, ungeheissen in der Nacht das Lager zu raeumen, um sich in den sechzehn Jahre zuvor von Nobilior angelegten Verschanzungen zu bergen. Die Numantiner, von dem Aufbruch in Kenntnis gesetzt, draengten der fliehenden Armee nach und umzingelten sie; es blieb nur die Wahl, mit dem Schwert in der Hand sich durchzuschlagen oder auf die von den Numantinern gestellten Bedingungen Frieden zu schliessen. Mehr als der Konsul, der persoenlich ein Ehrenmann, aber schwach und wenig bekannt war, bewirkte Tiberius Gracchus, der als Quaestor im Heere diente, durch sein von dem Vater, dem weisen Ordner der Ebroprovinz, auf ihn vererbtes Ansehen bei den Keltiberern, dass die Numantiner sich mit einem billigen, von allen Stabsoffizieren beschworenen Friedensvertrag genuegen liessen. Allein der Senat rief nicht bloss den Feldherrn sofort zurueck, sondern liess auch nach langer Beratung bei der Buergerschaft darauf antragen, den Vertrag zu behandeln wie einst den caudinischen, das heisst, ihm die Ratifikation zu verweigern und die Verantwortlichkeit dafuer auf diejenigen abzuwaelzen, die ihn geschlossen hatten. Von Rechts wegen haetten dies saemtliche Offiziere sein muessen, die den Vertrag beschworen hatten; allein Gracchus und die uebrigen wurden durch ihre Verbindungen gerettet; Mancinus allein, der nicht den Kreisen der hoechsten Aristokratie angehoerte, ward bestimmt, fuer eigene und fremde Schuld zu buessen. Seiner Insignien entkleidet, ward der roemische Konsular zu den feindlichen Vorposten gefuehrt, und da die Numantiner ihn anzunehmen verweigerten, um nicht auch ihrerseits den Vertrag als nichtig anzuerkennen, stand der ehemalige Oberfeldherr, im Hemd und die Haende auf den Ruecken gebunden, einen Tag lang vor den Toren von Numantia, Freunden und Feinden ein klaegliches Schauspiel. Jedoch fuer Mancinus’ Nachfolger, seinen Kollegen im Konsulat, Marcus Aemilius Lepidus, schien die bittere Lehre voellig verloren. Waehrend die Verhandlungen ueber den Vertrag mit Mancinus in Rom schwebten, griff er unter nichtigen Vorwaenden, eben wie sechzehn Jahre zuvor Lucullus, das freie Volk der Vaccaeer an und begann in Gemeinschaft mit dem Feldherrn der jenseitigen Provinz Pallantia zu belagern (618 136). Ein Senatsbeschluss befahl ihm, von dem Krieg abzustehen; nichtsdestoweniger setzte er, unter dem Vorwand, dass die Umstaende inzwischen sich geaendert haetten, die Belagerung fort. Dabei war er als Soldat gerade so schlecht wie als Buerger; nachdem er so lange vor der grossen und festen Stadt gelegen hatte, bis ihm in dem rauhen feindlichen Land die Zufuhr ausgegangen war, musste er mit Zuruecklassung aller Verwundeten und Kranken den Rueckzug beginnen, auf dem die verfolgenden Pallantiner die Haelfte seiner Soldaten aufrieben und, wenn sie die Verfolgung nicht zu frueh abgebrochen haetten, das schon in voller Aufloesung begriffene roemische Heer wahrscheinlich ganz vernichtet haben wuerden. Dafuer ward denn dem hochgeborenen General bei seiner Heimkehr eine Geldbusse auferlegt. Seine Nachfolger Lucius Furius Philus (618 136) und Quintus Calpurnius Piso (619 135) hatten wieder gegen die Numantiner Krieg zu fuehren, und da sie eben gar nichts taten, kamen sie gluecklich ohne Niederlage heim. Selbst die roemische Regierung fing endlich an einzusehen, dass man so nicht laenger fortfahren koenne; man entschloss sich, die Bezwingung der kleinen spanischen Landstadt ausserordentlicherweise dem ersten Feldherrn Roms, Scipio Aemilianus, zu uebertragen. Die Geldmittel zur Kriegfuehrung wurden ihm freilich dabei mit verkehrter Kargheit zugemessen und die verlangte Erlaubnis, Soldaten auszuheben, sogar geradezu verweigert, wobei Koterieintrigen und die Furcht, der souveraenen Buergerschaft laestig zu werden, zusammengewirkt haben moegen. Indes begleitete ihn freiwillig eine grosse Anzahl von Freunden und Klienten, unter ihnen sein Bruder Maximus Aemilianus, der vor einigen Jahren mit Auszeichnung gegen Viriathus kommandiert hatte. Gestuetzt auf diese zuverlaessige Schar, die als Feldherrnwache konstituiert ward, begann Scipio das tief zerruettete Heer zu reorganisieren (620 134). Vor allen Dingen musste der Tross das Lager raeumen – es fanden sich bis 2000 Dirnen und eine Unzahl Wahrsager und Pfaffen von allen Sorten -, und da der Soldat zum Fechten unbrauchbar war, musste er wenigstens schanzen und marschieren. Den ersten Sommer vermied der Feldherr jeden Kampf mit den Numantinern; er begnuegte sich, die Vorraete in der Umgegend zu vernichten und die Vaccaeer, die den Numantinern Korn verkauften, zu zuechtigen und zur Anerkennung der Oberhoheit Roms zu zwingen. Erst gegen den Winter zog Scipio sein Heer um Numantia zusammen; ausser dem numidischen Kontingent von Reitern, Fusssoldaten und zwoelf Elefanten unter Anfuehrung des Prinzen Jugurtha und den zahlreichen spanischen Zuzuegen waren es vier Legionen, ueberhaupt eine Heermasse von 60000 Mann, die eine Stadt mit einer waffenfaehigen Buergerschaft von hoechstens 8000 Koepfen einschloss. Dennoch boten die Belagerten oftmals den Kampf an; allein Scipio, wohl erkennend, dass die vieljaehrige Zuchtlosigkeit nicht mit einem Schlag sich ausrotten lasse, verweigerte jedes Gefecht, und wo es dennoch bei den Ausfaellen der Belagerten dazu kam, rechtfertigte die feige, kaum durch das persoenliche Erscheinen des Feldherrn gehemmte Flucht der Legionaere diese Taktik nur zu sehr. Nie hat ein Feldherr seine Soldaten veraechtlicher behandelt als Scipio die numantinische Armee; und nicht bloss mit bitteren Reden, sondern vor allem durch die Tat bewies er ihr, was er von ihr halte. Zum erstenmal fuehrten die Roemer, wo es nur auf sie ankam, das Schwert zu brauchen, den Kampf mit Hacke und Spaten. Rings um die ganze Stadtmauer von reichlich einer halben deutschen Meile im Umfang ward eine doppelt so ausgedehnte, mit Mauern, Tuermen und Graeben versehene zwiefache Umwallungslinie aufgefuehrt und auch der Duerofluss, auf dem den Belagerten anfangs noch durch kuehne Schiffer und Taucher einige Vorraete zugekommen waren, endlich abgesperrt. So musste die Stadt, die zu stuermen man nicht wagte, wohl durch Hunger erdrueckt werden, um so mehr, als es der Buergerschaft nicht moeglich gewesen war, sich waehrend des letzten Sommers zu verproviantieren. Bald litten die Numantiner Mangel an allem. Einer ihrer kuehnsten Maenner, Retogenes, schlug sich mit wenigen Begleitern durch die feindlichen Linien durch, und seine ruehrende Bitte, die Stammesgenossen nicht hilflos untergehen zu lassen, war wenigstens in einer der Arevakerstaedte, in Lutia, von grosser Wirkung. Bevor aber die Buerger von Lutia sich entschieden hatten, erschien Scipio, benachrichtigt von den roemisch Gesinnten in der Stadt, mit Uebermacht vor ihren Mauern und zwang die Behoerden, ihm die Fuehrer der Bewegung, vierhundert der trefflichsten Juenglinge, auszuliefern, denen saemtlich auf Befehl des roemischen Feldherrn die Haende abgehauen wurden. Die Numantiner, also der letzten Hoffnung beraubt, sandten an Scipio, um ueber die Unterwerfung zu verhandeln, und riefen den tapferen Mann an, der Tapferen zu schonen; allein als die rueckkehrenden Boten meldeten, dass Scipio unbedingte Ergebung verlange, wurden sie von der wuetenden Menge zerrissen, und eine neue Frist verfloss, bis Hunger und Seuchen ihr Werk vollendet hatten. Endlich kam in das roemische Hauptquartier eine zweite Botschaft, dass die Stadt jetzt bereit sei, auf Gnade und Ungnade sich zu unterwerfen. Als demnach die Buergerschaft angewiesen wurde, am folgenden Tag vor den Toren zu erscheinen, bat sie um einige Tage Frist, um denjenigen Buergern, die den Untergang der Freiheit nicht zu ueberleben beschlossen haetten, Zeit zum Sterben zu gestatten. Sie ward ihnen gewaehrt, und nicht wenige benutzten sie. Endlich erschien der elende Rest vor den Toren. Scipio las fuenfzig der Ansehnlichsten aus, um sie in seinem Triumphe aufzufuehren; die uebrigen wurden in die Sklaverei verkauft, die Stadt dem Boden gleichgemacht, ihr Gebiet unter die Nachbarstaedte verteilt. Das geschah im Herbst 621 (133), fuenfzehn Monate nachdem Scipio den Oberbefehl uebernommen hatte. Mit Numantias Fall war die hier und da noch sich regende Opposition gegen Rom in der Wurzel getroffen; militaerische Spaziergaenge und Geldbussen reichten aus, um die roemische Oberherrschaft im ganzen diesseitigen Spanien zur Anerkennung zu bringen. Auch im jenseitigen ward durch die Ueberwindung der Lusitaner die roemische Herrschaft befestigt und ausgedehnt. Der Konsul Decimus Iunius Brutus, der an Caepios Stelle trat, siedelte die kriegsgefangenen Lusitaner an in der Naehe von Sagunt und gab ihrer neuen Stadt Valentia (Valencia) gleich Carteia latinische Verfassung (616 138); er durchzog ferner (616-618 138-136) in verschiedenen Richtungen die iberische Westkueste und gelangte zuerst von den Roemern an das Gestade des Atlantischen Meers. Die von ihren Bewohnern, Maennern und Frauen, hartnaeckig verteidigten Staedte der dort wohnenden Lusitaner wurden durch ihn bezwungen, und die bis dahin unabhaengigen Callaeker nach einer grossen Schlacht, in der ihrer 50000 gefallen sein sollen, mit der roemischen Provinz vereinigt. Nach Unterwerfung der Vaccaeer, Lusitaner und Callaeker war jetzt mit Ausnahme der Nordkueste die ganze Halbinsel wenigstens dem Namen nach den Roemern untertan. Eine senatorische Kommission ging nach Spanien, um im Einvernehmen mit Scipio das neugewonnene Provinzialgebiet roemisch zu ordnen, und Scipio tat, was er konnte, um die Folgen der ehr- und kopflosen Politik seiner Vorgaenger zu beseitigen, wie denn zum Beispiel die Kaukaner, deren schmachvolle Misshandlung durch Lucullus er neunzehn Jahre zuvor als Kriegstribun mit hatte ansehen muessen, von ihm eingeladen wurden, in ihre Stadt zurueckzukehren und sie wiederaufzubauen. Es begann wiederum fuer Spanien eine leidlichere Zeit. Die Unterdrueckung des Seeraubes, der auf den Balearen gefaehrliche Schlupfwinkel fand, durch Quintus Caecilius Metellus’ Besetzung dieser Inseln im Jahre 631 (123) war dem Aufbluehen des spanischen Handels ungemein foerderlich, und auch sonst waren die fruchtbaren und von einer dichten, in der Schleuderkunst unuebertroffenen Bevoelkerung bewohnten Inseln ein wertvoller Besitz. Wie zahlreich schon damals die lateinisch redende Bevoelkerung auf der Halbinsel war, beweist die Ansiedelung von 3000 spanischen Latinern in den Staedten Palma und Pollentia (Pollenza) auf den neugewonnenen Inseln. Trotz mancher schwerer Missstaende bewahrte die roemische Verwaltung Spaniens im ganzen den Stempel, den die catonische Zeit und zunaechst Tiberius Gracchus ihr aufgepraegt hatten. Das roemische Grenzgebiet zwar hatte von den Ueberfaellen der halb oder gar nicht bezwungenen Staemme des Nordens und Westens nicht wenig zu leiden. Bei den Lusitanern namentlich tat die aermere Jugend regelmaessig sich in Raeuberbanden zusammen und brandschatzte in hellen Haufen die Landsleute oder die Nachbarn, weshalb noch in viel spaeterer Zeit die einzeln gelegenen Bauernhoefe in dieser Gegend festungsartig angelegt und im Notfall verteidigungsfaehig waren; und es gelang den Roemern nicht, diesem Raeuberwesen in den unwirtlichen und schwer zugaenglichen lusitanischen Bergen ein Ende zu machen. Aber die bisherigen Kriege nahmen doch mehr und mehr den Charakter des Bandenunfugs an, den jeder leidlich tuechtige Statthalter mit den gewoehnlichen Mitteln niederzuhalten vermochte, und trotz dieser Heimsuchung der Grenzdistrikte war Spanien unter allen roemischen Gebieten das bluehendste und am besten organisierte Land; das Zehntensystem und die Mittelsmaenner waren daselbst unbekannt, die Bevoelkerung zahlreich und die Landschaft reich an Korn und Vieh. In einem weit unleidlicheren Mittelzustand zwischen formeller Souveraenitaet und tatsaechlicher Untertaenigkeit befanden sich die afrikanischen, griechischen und asiatischen Staaten, welche durch die Kriege der Roemer gegen Karthago, Makedonien und Syrien und deren Konsequenzen in den Kreis der roemischen Hegemonie gezogen worden waren. Der unabhaengige Staat bezahlt den Preis seiner Selbstaendigkeit nicht zu teuer, indem er die Leiden des Krieges auf sich nimmt, wenn es sein muss; der Staat, der die Selbstaendigkeit eingebuesst hat, mag wenigstens einen Ersatz darin finden, dass der Schutzherr ihm Ruhe schafft vor seinen Nachbarn. Allein diese Klientelstaaten Roms hatten weder Selbstaendigkeit noch Frieden. In Afrika bestand zwischen Karthago und Numidien tatsaechlich ein ewiger Grenzkrieg. In Aegypten hatte zwar der roemische Schiedsspruch den Sukzessionsstreit der beiden Brueder Ptolemaeos Philometor und Ptolemaeos des Dicken geschlichtet; allein die neuen Herren von Aegypten und von Kyrene fuehrten nichtsdestoweniger Krieg um den Besitz von Kypros. In Asien waren nicht bloss die meisten Koenigreiche, Bithynien, Kappadokien, Syrien, gleichfalls durch Erbfolgestreitigkeiten und dadurch hervorgerufene Interventionen der Nachbarstaaten innerlich zerrissen, sondern es wurden auch vielfache und schwere Kriege gefuehrt zwischen den Attaliden und den Galatern, zwischen den Attaliden und den bithynischen Koenigen, ja zwischen Rhodos und Kreta. Ebenso glimmten im eigentlichen Hellas die dort landueblichen zwerghaften Fehden, und selbst das sonst so ruhige makedonische Land verzehrte sich in dem inneren Hader seiner neuen demokratischen Verfassungen. Es war die Schuld der Herrscher wie der Beherrschten, dass die letzte Lebenskraft und der letzte Wohlstand der Nationen in diesen ziellosen Fehden vergeudet ward. Die Klientelstaaten haetten einsehen muessen, dass der Staat, der nicht gegen jeden, ueberhaupt nicht Krieg fuehren kann und dass, da der Besitzstand und die Machtstellung all dieser Staaten tatsaechlich unter roemischer Garantie stand, ihnen bei jeder Differenz nur die Wahl blieb, entweder mit den Nachbarn in Guete sich zu vergleichen oder die Roemer zum Schiedsspruch aufzufordern. Wenn die achaeische Tagsatzung von Rhodiern und Kretern um Bundeshilfe gemahnt ward und ernstlich ueber deren Absendung beratschlagte (601 153), so war dies einfach eine politische Posse; der Satz, den der Fuehrer der roemisch gesinnten Partei damals aufstellte, dass es den Achaeern nicht mehr freistehe, ohne Erlaubnis der Roemer Krieg zu fuehren, drueckte, freilich mit uebelklingender Schaerfe, die einfache Wahrheit aus, dass die Souveraenitaet der Dependenzstaaten eben nur eine formelle war und jeder Versuch, dem Schatten Leben zu verleihen, notwendig dahin fuehren musste, auch den Schatten zu vernichten. Aber ein Tadel, schwerer als der gegen die Beherrschten, ist gegen die herrschende Gemeinde zu richten. Es ist fuer den Menschen wie fuer den Staat keine leichte Aufgabe, in die eigene Bedeutungslosigkeit sich zu finden; des Machthabers Pflicht und Recht ist es, entweder die Herrschaft aufzugeben oder durch Entwicklung einer imponierenden materiellen Ueberlegenheit die Beherrschten zur Resignation zu noetigen. Der roemische Senat tat keines von beidem. Von allen Seiten angerufen und bestuermt, griff der Senat bestaendig ein in den Gang der afrikanischen, hellenischen, asiatischen, aegyptischen Angelegenheiten, allein in einer so unsteten und schlaffen Weise, dass durch diese Schlichtungsversuche die Verwirrung gewoehnlich nur noch aerger ward. Es war die Zeit der Kommissionen. Bestaendig gingen Beauftragte des Senats nach Karthago und Alexandreia, an die achaeische Tagsatzung und die Hoefe der vorderasiatischen Herren; sie untersuchten, inhibierten, berichteten, und dennoch ward in den wichtigsten Dingen nicht selten ohne Wissen und gegen den Willen des Senats verfahren. Es konnte geschehen, dass Kypros, welches der Senat dem Kyrenaeischen Reich zugeschieden hatte, nichtsdestoweniger bei Aegypten blieb; dass ein syrischer Prinz den Thron seiner Vorfahren bestieg unter dem Vorgeben, ihn von den Roemern zugesprochen erhalten zu haben, waehrend in der Tat ihm derselbe vom Senate ausdruecklich abgeschlagen und er selbst nur durch Bannbruch von Rom entkommen war; ja dass die offenkundige Ermordung eines roemischen Kommissars, der im Auftrag des Senats vormundschaftlich das Regiment von Syrien fuehrte, gaenzlich ungeahndet hinging. Die Asiaten wussten zwar sehr wohl, dass sie nicht imstande seien, den roemischen Legionen zu widerstehen; aber sie wussten nicht minder, wie wenig der Senat geneigt war, den Buergern Marschbefehl nach dem Euphrat oder dem Nil zu erteilen. So ging es in diesen entlegenen Landschaften zu wie in der Schulstube, wenn der Lehrer fern und schlaff ist; und Roms Regiment brachte die Voelker zugleich um die Segnungen der Freiheit und um die der Ordnung. Fuer die Roemer selbst aber war diese Lage der Dinge insofern bedenklich, als sie die Nord- und Ostgrenze gewissermassen preisgab. Ohne dass Rom unmittelbar und rasch es zu verhindern vermochte, konnten hier, gestuetzt auf die ausserhalb des Bereiches der roemischen Hegemonie gelegenen Binnenlandschaften und im Gegensatz gegen die schwachen roemischen Klientelstaaten, Reiche sich bilden von einer fuer Rom gefaehrlichen und frueher oder spaeter mit ihm rivalisierenden Machtentwicklung. Allerdings schirmte hiergegen einigermassen der ueberall zerspaltene und nirgends einer grossartigen staatlichen Entwicklung guenstige Zustand der angrenzenden Nationen; aber dennoch erkennt man namentlich in der Geschichte des Ostens sehr deutlich, dass in dieser Zeit die Phalanx des Seleukos nicht mehr und die Legionen des Augustus noch nicht am Euphrat standen. Diesem Zustand der Halbheit ein Ende zu machen war hohe Zeit. Das einzig moegliche Ende aber war die Verwandlung der Klientelstaaten in roemische Aemter, was um so eher geschehen konnte, als ja die roemische Provinzialverfassung wesentlich nur die militaerische Gewalt in der Hand des roemischen Vogts zusammenfasste und Verwaltung und Gerichte in der Hauptsache den Gemeinden blieben oder doch bleiben sollten, also, was von der alten politischen Selbstaendigkeit ueberhaupt noch lebensfaehig war, sich in der Form der Gemeindefreiheit bewahren liess. Zu verkennen war die Notwendigkeit dieser administrativen Reform nicht wohl; es fragte sich nur, ob der Senat dieselbe verzoegern und verkuemmern, oder ob er den Mut und die Macht haben werde, das Notwendige klar einzusehen und energisch durchzufuehren. Blicken wir zunaechst auf Afrika. Die von den Roemern in Libyen gegruendete Ordnung der Dinge ruhte wesentlich auf dem Gleichgewicht des Nomadenreiches Massinissas und der Stadt Karthago. Waehrend jenes unter Massinissas durchgreifendem und klugem Regiment sich erweiterte, befestigte und zivilisierte, ward auch Karthago durch die blossen Folgen des Friedensstandes wenigstens an Reichtum und Volkszahl wieder, was es auf der Hoehe seiner politischen Macht gewesen war. Die Roemer sahen mit uebelverhehlter, neidischer Furcht die, wie es schien, unverwuestliche Bluete der alten Nebenbuhlerin; hatten sie bisher den bestaendig fortgesetzten Uebergriffen Massinissas gegenueber derselben jeden ernstlichen Schutz verweigert, so fingen sie jetzt an, offen zu Gunsten des Nachbarn zu intervenieren. Der seit mehr als dreissig Jahren zwischen der Stadt und dem Koenig schwebende Streit ueber den Besitz der Landschaft Emporia an der Kleinen Syrte, einer der fruchtbarsten des karthagischen Gebiets, ward endlich (um 594 160) von roemischen Kommissarien dahin entschieden, dass die Karthager die noch in ihrem Besitz verbliebenen emporitanischen Staedte zu raeumen und als Entschaedigung fuer die widerrechtliche Nutzung des Gebiets 500 Talente (860000 Taler) an den Koenig zu zahlen haetten. Die Folge war, dass Massinissa sofort sich eines anderen karthagischen Bezirks an der Westgrenze des karthagischen Gebiets, der Stadt Tusca und der grossen Felder am Bagradas, bemaechtigte; den Karthagern blieb nichts uebrig, als abermals in Rom einen hoffnungslosen Prozess anhaengig zu machen. Nach langem und ohne Zweifel absichtlichem Zoegern erschien in Afrika eine zweite Kommission (597 157); als aber die Karthager auf einen, ohne genaue vorgaengige Untersuchung der Rechtsfrage von derselben zu faellenden Schiedsspruch nicht unbedingt kompromittieren wollten, sondern auf eingehender Eroerterung der Rechtsfrage bestanden, kehrten die Kommissare ohne weiteres wieder zurueck nach Rom. Die Rechtsfrage zwischen Karthago und Massinissa blieb also unerledigt; aber die Sendung fuehrte eine wichtigere Entscheidung herbei. Das Haupt dieser Kommission war der alte Marcus Cato gewesen, damals vielleicht der einflussreichste Mann im Senat und als Veteran aus dem Hannibalischen Kriege noch von dem vollen Poenerhass und der vollen Poenerfurcht durchdrungen. Betroffen und missguenstig hatte dieser mit eigenen Augen den bluehenden Zustand der Erbfeinde Roms, die ueppige Landschaft und die wogenden Gassen, die gewaltigen Waffenvorraete in den Zeughaeusern und das reiche Flottenmaterial geschaut; schon sah er im Geiste einen zweiten Hannibal all diese Hilfsmittel gegen Rom verwenden. In seiner ehrlichen und mannhaften, aber durchaus bornierten Weise kam er zu dem Ergebnis, dass Rom nicht eher sicher sein werde, als bis Karthago vom Erdboden verschwunden sei, und entwickelte nach seiner Heimkehr diese Ansicht sofort im Senat. Dort widersetzten die freier blickenden Maenner der Aristokratie, namentlich Scipio Nasica, sich dieser kuemmerlichen Politik mit grossem Ernst und entwickelten die Blindheit der Besorgnisse vor einer Kaufstadt, deren phoenikische Bewohner mehr und mehr der kriegerischen Kuenste und Gedanken sich entwoehnten, und die vollkommene Vertraeglichkeit der Existenz dieser reichen Handelsstadt mit der politischen Suprematie Roms. Selbst die Umwandlung Karthagos in eine roemische Provinzialstadt waere ausfuehrbar, ja, verglichen mit dem gegenwaertigen Zustand, den Phoenikern selbst vielleicht nicht unwillkommen gewesen. Indes Cato wollte eben nicht die Unterwerfung, sondern den Untergang der verhassten Stadt. Seine Politik fand, wie es scheint, Bundesgenossen teils an den Staatsmaennern, die geneigt waren, die ueberseeischen Gebiete in unmittelbare Abhaengigkeit von Rom zu bringen, teils und vor allem an dem maechtigen Einfluss der roemischen Bankiers und Grosshaendler, denen nach der Vernichtung der reichen Geld- und Handelsstadt die Erbschaft derselben zufallen musste. Die Majoritaet beschloss, bei der ersten passenden Gelegenheit – eine solche abzuwarten forderte die Ruecksicht auf die oeffentliche Meinung – den Krieg mit Karthago oder vielmehr die Zerstoerung der Stadt zu bewirken. Die gewuenschte Veranlassung fand sich rasch. Die erbitternden Rechtsverletzungen von Seiten Massinissas und der Roemer brachten in Karthago den Hasdrubal und den Karthalo an das Regiment, die Fuehrer der Patriotenpartei, welche, aehnlich der achaeischen, zwar nicht daran dachte, gegen die roemische Suprematie sich aufzulehnen, aber wenigstens die den Karthagern vertragsmaessig zustehenden Rechte gegen Massinissa, wenn noetig mit den Waffen, zu verteidigen entschlossen war. Die Patrioten liessen vierzig der entschiedensten Anhaenger Massinissas aus der Stadt verbannen und das Volk schwoeren, ihnen unter keiner Bedingung je die Rueckkehr zu gestatten; zugleich bildeten sie zur Abwehr gegen die von Massinissa zu erwartenden Angriffe aus den freien Numidiern ein starkes Heer unter Arkobarzanes, dem Enkel des Syphax (um 600 154). Massinissa indes war klug genug, jetzt nicht zu ruesten, sondern sich wegen des streitigen Gebiets am Bagradas unbedingt dem Schiedsspruch der Roemer zu unterwerfen; und so konnte man roemischerseits mit einigem Schein behaupten, dass die karthagischen Ruestungen gegen die Roemer gerichtet sein muessten, und auf sofortige Entlassung des Heeres und Vernichtung der Flottenvorraete dringen. Der karthagische Rat wollte einwilligen, allein die Menge verhinderte die Ausfuehrung des Beschlusses, und die roemischen Boten, die diesen Bescheid nach Karthago ueberbracht hatten, schwebten in Lebensgefahr. Massinissa sandte seinen Sohn Gulussa nach Rom, um ueber die fortdauernden Vorbereitungen Karthagos fuer den Land- und den Seekrieg Bericht zu erstatten und die Kriegserklaerung zu beschleunigen. Nachdem noch einmal eine Gesandtschaft von zehn Maennern es bestaetigt hatte, dass in Karthago in der Tat geruestet werde (602 152), verwarf der Senat zwar die unbedingte Kriegserklaerung, die Cato begehrte, beschloss aber in geheimer Sitzung, dass der Krieg erklaert sein solle, wenn die Karthager sich nicht dazu verstehen wuerden, ihr Heer zu entlassen und ihr Flottenmaterial zu verbrennen. Inzwischen hatte in Afrika der Kampf bereits begonnen. Massinissa hatte die von den Karthagern verbannten Leute unter Geleitschaft seines Sohnes Gulussa nach der Stadt zurueckgesandt. Da die Karthager diesen die Tore schlossen, auch von den abziehenden Numidiern einige erschlugen, setzte Massinissa seine Truppen in Bewegung, und auch die karthagische Patriotenpartei machte sich kampffertig. Indes Hasdrubal, der an die Spitze ihrer Armee trat, war einer der gewoehnlichen Heerverderber, wie die Karthager sie zu Feldherren zu nehmen pflegten; im Feldherrnpurpur einherstolzierend wie ein Theaterkoenig und seines stattlichen Bauches auch im Lager pflegend, war der eitle und schwerfaellige Mann wenig geeignet, den Helfer zu machen in einer Bedraengnis, die vielleicht selbst Hamilkars Geist und Hannibals Arm nicht mehr haetten abwenden koennen. Vor den Augen des Scipio Aemilianus, der, damals Kriegstribun in der spanischen Armee, an Massinissa gesandt worden war, um seinem Feldherrn afrikanische Elefanten zuzufuehren, und der bei dieser Gelegenheit von einem Berge herab “wie Zeus vom Ida” der Schlacht zuschaute, lieferten die Karthager und die Numidier sich ein grosses Treffen, in welchem jene, obwohl durch 6000, von unzufriedenen Hauptleuten Massinissas ihnen zugefuehrte numidische Reiter verstaerkt und an Zahl dem Feinde ueberlegen, dennoch den kuerzeren zogen. Nach dieser Niederlage erboten sich die Karthager gegen Massinissa zu Gebietsabtretungen und Geldzahlungen, und Scipio versuchte auf ihr Anhalten, einen Vertrag zustande zu bringen; allein an der Weigerung der karthagischen Patrioten, die Ueberlaeufer auszuliefern, scheiterte das Friedensgeschaeft. Hasdrubal aber, eng eingeschlossen von den Truppen des Gegners, wurde genoetigt, alles zu bewilligen, was dieser forderte: Auslieferung der Ueberlaeufer, Rueckkehr der Verbannten, Abgabe der Waffen, Abzug unter dem Joch, Zahlung von jaehrlich 100 Talenten (155000 Talern) fuer die naechsten fuenfzig Jahre; und selbst dieser Vertrag wurde von den Numidiern nicht gehalten, sondern der entwaffnete Rest des karthagischen Heeres auf der Heimkehr von ihnen zusammengehauen. Die Roemer, die sich wohl gehuetet hatten, den Krieg selbst durch zeitige Dazwischenkunft zu verhindern, hatten jetzt, was sie wuenschten: einen brauchbaren Kriegsgrund – denn die Bestimmungen des Vertrags, nicht gegen roemische Bundesgenossen noch ausserhalb der eigenen Grenzen Krieg zu fuehren, waren jetzt allerdings von den Karthagern uebertreten worden – und einen bereits im voraus geschlagenen Gegner. Schon wurden die italischen Kontingente nach Rom gemahnt und die Schiffe zusammenberufen; jeden Augenblick konnte die Kriegserklaerung da sein. Die Karthager boten alles auf, den drohenden Schlag abzuwenden. Die Fuehrer der Patriotenpartei, Hasdrubal und Karthalo, wurden zum Tode verurteilt und eine Gesandtschaft nach Rom geschickt, um auf sie die Verantwortung zu waelzen. Allein, zugleich trafen Boten von Utica, der zweiten Stadt der libyschen Phoeniker, dort ein, welche Vollmacht hatten, ihre Gemeinde den Roemern voellig zu eigen zu geben – mit dieser zuvorkommenden Unterwuerfigkeit verglichen, schien es fast Trotz, dass die Karthager sich begnuegt hatten, die Hinrichtung ihrer angesehensten Maenner unverlangt anzuordnen. Der Senat erklaerte, dass die Entschuldigung der Karthager unzureichend befunden sei; auf die Frage, was denn genuegen werde, hiess es, das sei den Karthagern ja bekannt. Freilich konnte man es wissen, was die Roemer wollten; allein es schien doch wieder unmoeglich zu glauben, dass nun wirklich fuer die liebe Heimatstadt die letzte Stunde gekommen sei. Noch einmal gingen karthagische Sendboten, diesmal ihrer dreissig und mit unbeschraenkter Vollmacht, nach Rom. Als sie ankamen, war bereits der Krieg erklaert (Anfang 605 149) und das doppelte Konsularheer eingeschifft; doch versuchten sie noch jetzt, den Sturm durch vollstaendige Unterwerfung zu beschwoeren. Der Senat beschied sie, dass Rom bereit sei, der karthagischen Gemeinde ihr Gebiet, ihre staedtische Freiheit und ihr Landrecht, ihr Gemeinde- und Privatvermoegen zu garantieren, wofern sie den soeben nach Sizilien abgegangenen Konsuln binnen Monatsfrist in Lilybaeon 300 Geiseln aus den Kindern der regierenden Familien stellen und die weiteren Befehle erfuellen wuerden, die ihnen die Konsuln nach ihrer Instruktion wuerden zugehen lassen. Man hat den Bescheid zweideutig genannt; sehr verkehrt, wie schon damals klarblickende Maenner selbst unter den Karthagern hervorhoben. Dass alles, was man nur begehren konnte, garantiert ward mit einziger Ausnahme der Stadt, und dass keine Rede davon war, die Einschiffung der Truppen nach Afrika zu sistieren, zeigte sehr deutlich, was man beabsichtigte; der Senat verfuhr mit furchtbarer Haerte, aber den Anschein der Nachgiebigkeit gab er sich nicht. Indes man wollte in Karthago nicht sehen; es fand sich kein Staatsmann, der die haltlose staedtische Menge entweder zum vollen Widerstand oder zur vollen Resignation zu bewegen vermocht haette. Als man zugleich das entsetzliche Kriegsdekret und die ertraegliche Geiselforderung vernahm, fuegte man zunaechst sich dieser und hoffte weiter, weil man den Mut nicht hatte es auszudenken, was es heisse, sich der Willkuer eines Todfeindes im voraus zu unterwerfen. Die Konsuln sandten die Geiseln von Lilybaeon zurueck nach Rom und beschieden die karthagischen Boten, das weitere in Afrika zu vernehmen. Ohne Widerstand geschah die Landung und wurden die geforderten Lebensmittel verabfolgt. Als im Hauptquartier von Utica die gesamte Gerusia von Karthago erschien, um die weiteren Befehle entgegenzunehmen, begehrten die Konsuln zunaechst die Entwaffnung der Stadt. Auf die Frage der Karthager, wer sie sodann auch nur gegen ihre eigenen Ausgewanderten, gegen die auf 20000 Mann angeschwollene Armee des dem Todesurteil durch die Flucht entronnenen Hasdrubal beschuetzen solle, ward ihnen erwidert, dass dies die Sorge der Roemer sein werde. Gehorsam erschien demnach der Rat der Stadt vor den Konsuln mit allem Flottenmaterial, allen Kriegsvorraeten der oeffentlichen Zeughaeuser, allen im Privatbesitz befindlichen Waffen – man zaehlte 3000 Wurfgeschuetze und 200000 volle Ruestungen – und fragte an, ob noch weiteres begehrt werde. Da erhob sich der Konsul Lucius Marcius Censorinus und eroeffnete dem Rat, dass in Gemaessheit der vom Senat erlassenen Instruktion die bisherige Stadt zerstoert werden muesse, den Bewohnern aber freistehe, sich wo sie sonst wollten auf ihrem Gebiet, jedoch mindestens zwei deutsche Meilen vom Meer entfernt, wiederum anzusiedeln. Dieser fuerchterliche Befehl ruettelte in den Phoenikern die ganze, soll man sagen hochherzige oder wahnwitzige Begeisterung auf, wie sie einst die Tyrier gegen Alexander und spaeter die Juden gegen Vespasian bewiesen. Beispiellos wie die Geduld war, mit der diese Nation Knechtschaft und Druck zu ertragen vermochte, ebenso beispiellos war jetzt, wo es sich nicht um Staat und Freiheit handelte, sondern um den eigenen, geliebten Boden der Vaterstadt und die altgewohnte teure Meeresheimat, die rasende Empoerung der kaufmaennischen und seefahrenden Bevoelkerung. Von Hoffnung und Rettung konnte nicht die Rede sein; der politische Verstand gebot ohne Frage auch jetzt sich zu fuegen – aber die Stimme der wenigen, welche mahnten, das Unvermeidliche auf sich zu nehmen, verscholl wie der Ruf des Faehrmanns im Orkan in dem brausenden Wutgeheul der Menge, die in ihrem wahnsinnigen Toben teils an den Beamten der Stadt sich vergriff, welche zur Auslieferung der Geiseln und Waffen geraten hatten, teils die unschuldigen Traeger der Botschaft, so viele von ihnen ueberhaupt heimzukehren gewagt hatten, die Schreckenskunde entgelten liess, teils die zufaellig in der Stadt verweilenden Italiker zerriss, um wenigstens an diesen die Rache vorwegzunehmen fuer die Vernichtung der Heimat. Man beschloss nicht sich zu wehren; wehrlos wie man war, verstand sich dies von selbst. Die Tore wurden geschlossen, auf die von Wurfgeschossen entbloessten Mauerzinnen Steine geschafft, der Oberbefehl an Hasdrubal, den Tochtersohn Massinissas, uebertragen, die Sklaven saemtlich frei erklaert. Das Emigrantenheer unter dem fluechtigen Hasdrubal, das mit Ausnahme der von den Roemern besetzten Staedte an der Ostkueste, Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus und Achulla und der Stadt Utica, das ganze karthagische Gebiet innehatte und fuer die Verteidigung eine unschaetzbare Stuetze bot, ward ersucht, der Gemeinde seinen Beistand in dieser hoechsten Not nicht zu versagen. Zugleich versuchte man, in echt phoenikischer Weise die grenzenloseste Erbitterung unter dem Mantel der Demut versteckend, den Feind zu taeuschen. Es ging eine Botschaft an die Konsuln, um dreissigtaegigen Waffenstillstand zur Absendung einer Gesandtschaft nach Rom zu erbitten. Die Karthager wussten wohl, dass die Feldherrn diese einmal schon abgeschlagene Bitte weder gewaehren wollten noch konnten; allein die Konsuln wurden dadurch bestaerkt in der natuerlichen Voraussetzung, dass nach dem ersten Ausbruch der Verzweiflung die gaenzlich wehrlose Stadt sich fuegen werde, und verschoben deshalb den Angriff. Die kostbare Zwischenzeit ward benutzt, um Wurfgeschuetze und Ruestungen herzustellen; Tag und Nacht ward ohne Unterschied des Alters und Geschlechts an Maschinen und Waffen gezimmert und gehaemmert; um Balken und Metall zu erlangen, wurden die oeffentlichen Gebaeude niedergerissen; um die fuer die Wurfgeschuetze unentbehrlichen Sehnen herzustellen, schoren die Frauen sich das Haar; in unglaublich kurzer Zeit waren die Mauern und die Maenner wieder bewehrt. Dass dies alles geschehen konnte, ohne dass die wenige Meilen entfernten Konsuln etwas davon erfuhren, ist nicht der am wenigsten wunderbare Zug in dieser wunderbaren, von einem wahrhaft genialen, ja daemonischen Volkshass getragenen Bewegung. Als endlich die Konsuln, des Wartens muede, aus dem Lager bei Utica aufbrachen und bloss mit Leitern die nackten Mauern ersteigen zu koennen meinten, fanden sie mit Staunen und Schrecken die Zinnen aufs neue mit Katapulten gekroent und die grosse volkreiche Stadt, welche man gleich einem offenen Flecken zu besetzen gehofft hatte, faehig und bereit, sich bis auf den letzten Mann zu verteidigen. Karthago war sehr fest durch die Natur seiner Lage 3 wie durch die Kunst seiner gar oft auf den Schutz ihrer Mauern angewiesenen Bewohner. In den weiten Tunesischen Golf, den westlich Kap Farina, oestlich Kap Bon begrenzen, springt in der Richtung von Westen nach Osten eine Landspitze vor, die an drei Seiten vom Meer umflossen ist und nur gegen Westen mit dem Festland zusammenhaengt. Diese Landspitze, an der schmalsten Stelle nur etwa eine halbe deutsche Meile breit und im ganzen flach, erweitert sich wieder gegen den Golf und endigt hier in den beiden Hoehen von Dschebel-Khawi und Sidi bu Said, zwischen denen die Flaeche von El Mersa sich ausdehnt. Auf dem suedlichen, mit der Hoehe von Sidi bu Said abschliessenden Teil derselben lag die Stadt Karthago. Der ziemlich steile Abfall jener Hoehe gegen den Golf und dessen zahlreiche Klippen und Untiefen gaben an der Golfseite der Stadt natuerliche Festigkeit, und es genuegte hier eine einfache Umwallung. Dagegen auf die Mauer an der West- oder Landseite, wo die Natur keinen Schutz bot, war alles verwendet, was die damalige Befestigungskunst vermochte. Sie bestand, wie die kuerzlich aufgedeckten, mit der Beschreibung des Polybios genau uebereinstimmenden Ueberreste gezeigt haben, aus einer Aussenmauer von 6´ Fuss Dicke und an diese hinterwaerts, wahrscheinlich in ihrer ganzen Ausdehnung, angelehnten ungeheuren Kasematten, welche durch einen 6 Fuss breiten bedeckten Gang von der Aussenmauer getrennt waren und, die jede reichlich 3 Fuss breiten Vorder- und Hintermauern nicht gerechnet, eine Tiefe von 11 Fuss hatten 4. Dieser ungeheure, durchaus aus maechtigen Quadern zusammengefuegte Wall erhob sich in zwei Stockwerken, die Zinnen und die maechtigen vier Stockwerke hohen Tuerme ungerechnet, zu einer Hoehe von 45 Fuss 5 und gewaehrte in dem untern Stockwerke der Kasematten Stallung und Futtermagazine fuer 300 Elefanten, in dem oberen Pferdestaelle, Magazin- und Kasernenraeume 6. Der Burghuegel, die Byrsa (syrisch birtha = Burg), ein verhaeltnismaessig bedeutender Fels von 188 Fuss Hoehe und an der Unterflaeche einem Umfang von reichlich 2000 Doppelschritten 7, griff in diese Mauer an ihrem suedlichen Ende ein, aehnlich wie die Felswand des Kapitols in den roemischen Stadtwall. Die obere Flaeche desselben trug den gewaltigen, auf einem Unterbau von sechzig Stufen ruhenden Tempel des Heilgottes. Die Suedseite der Stadt bespuelte teils der seichte Tunesische See im Suedwesten, den eine von der karthagischen Halbinsel suedwaerts auslaufende schmale und niedrige Landzunge 8 fast gaenzlich von dem Golfe schied, teils im Suedosten der offene Golf. An dieser letzten Stelle befand sich der Doppelhafen der Stadt, ein Werk von Menschenhand: der aeussere oder der Handelshafen, ein laengliches, die schmale Seite dem Meere zuwendendes Viereck, von dessen nur 70 Fuss breiter Muendung nach beiden Seiten breite Kais am Wasser sich hinzogen, und der innere kreisrunde Kriegshafen, der Kothon 9, mit der das Admiralhaus tragenden Insel in der Mitte, in den man durch den aeusseren gelangte. Zwischen beiden ging die Stadtmauer durch, die, von der Byrsa ostwaerts sich wendend, die Landzunge und den Aussenhafen aus-, dagegen den Kriegshafen einschloss, so dass die Einfahrt in den letzteren gleich einem Tor verschliessbar gedacht werden muss. Unweit des Kriegshafens lag der Marktplatz, der durch drei enge Strassen mit der nach der Stadtseite offenen Burg verbunden war. Noerdlich von und ausserhalb der eigentlichen Stadt hatte der ziemlich betraechtliche, schon zu jener Zeit grossenteils mit Landhaeusern und wohlbewaesserten Gaerten gefuellte Raum der heutigen El Mersa, damals Magalia genannt, eine eigene, an die Stadtmauer sich anlehnende Umwallung. Auf der gegenueberliegenden Spitze der Halbinsel, dem Dschebel-Khawi bei dem heutigen Dorfe Qamart, lag die Graeberstadt. Diese drei, die Alt-, die Vor- und die Graeberstadt, fuellten zusammen die ganze Breite der Landspitze an ihrer dem Golf zugewandten Seite aus und waren nur zugaenglich auf den beiden Hauptstrassen nach Utica und Tunes ueber jene schmale Landzunge, die zwar nicht mit einer Mauer geschlossen war, aber doch fuer die unter dem Schutze der Hauptstadt und wieder zu deren Schutz sich aufstellenden Heere die vorteilhafteste Stellung darbot. ——————————————- 3 Der Zug der Kueste ist im Laufe der Jahrhunderte so veraendert worden, dass man an der alten Staette die ehemaligen Lokalverhaeltnisse nur unvollkommen wiedererkennt. Den Namen der Stadt bewahrt das Kap Kartadschena, auch von dem dort befindlichen Heiligengrab Ras Sidi bu Said genannt, die in den Golf hineinragende oestliche Spitze der Halbinsel und ihr hoechster 393 Fuss ueber dem Meere gelegener Punkt. 4 Die von C. E. Beule (Fouilles a Carthage. Paris 1861) mitgeteilten Tiefmasse sind in Metern und in griechischen Fuss (1 = 0,309): Aussenmauer 2 Meter = 6´ Fuss Korridor 9 Meter = 6 Fuss Vordermauer der Kasematten 1 Meter = 3¨Fuss Kasemattensaele 4,2 Meter = 14 Fuss Hintermauer der Kasematten 1 Meter = 3¨Fuss Gesamttiefe der Mauer 10,1 Meter = 33 Fuss oder, wie Diodor (p. 522) angibt, 22 Ellen (1 griechische Elle = 1´ Fuss), waehrend Livius (bei Oros. bist. 4, 22) und Appian (Pun. 95), die eine andere, minder genaue Stelle des Polybios vor Augen gehabt zu haben scheinen, die Mauertiefe auf 30 Fuss ansetzen. Die dreifache Mauer Appians, ueber die bisher durch Florus (epit. 1, 31) eine falsche Vorstellung verbreitet war, ist die Aussenmauer, die Vorder- und die Hintermauer der Kasematten. Dass dies Zusammentreffen nicht zufaellig ist und wir hier in der Tat die Ueberreste der beruehmten karthagischen Mauer vor uns haben, wird jedem einleuchten; N. Davis’ Einwuerfe (Carthage and her remains. 1861, S. 370f.) zeigen nur, dass gegen die wesentlichen Ergebnisse Beules auch mit dem besten Willen wenig auszurichten ist. Nur muss man festhalten, dass die alten Berichterstatter die Angaben, um die es sich handelt, saemtlich nicht von der Burgmauer geben, sondern von der Stadtmauer an der Landseite, von der die Mauer an der Suedseite des Burghuegels ein integrierender Teil war (Gros. bist. 4, 22). Dazu stimmt, dass die Ausgrabungen auf dem Burghuegel gegen Osten, Norden und Westen nirgends Spuren von Befestigungen, dagegen an der Suedseite eben jene grossartigen Mauerreste gezeigt haben. Es ist kein Grund vorhanden, dieselben als Ueberreste einer besonderen, von der Stadtmauer verschiedenen Burgbefestigung anzusehen; weitere Grabungen in entsprechender Tiefe – das Fundament der an der Byrsa aufgefundenen Stadtmauer liegt 56 Fuss unter dem heutigen Boden – werden vermutlich laengs der ganzen Landseite gleiche oder doch aehnliche Fundamente zu Tage foerdern, wenn auch wahrscheinlich da wo die ummauerte Vorstadt Magalia sich an die Hauptmauer anlehnte, die Befestigung entweder von Haus aus schwaecher gewesen oder frueh vernachlaessigt worden ist. Wie lang die Mauer im ganzen war, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen; doch ergibt sich, da 300 Elefanten hier Stallung fanden und auch deren Futtermagazine und vielleicht noch andere Raeumlichkeiten sowie die Tore in Anrechnung zu bringen sind, schon hieraus eine sehr ansehnliche Laengenentwicklung. Dass die innere Stadt, in deren Mauer die Byrsa einbegriffen war, zumal im Gegensatz zu der besonders ummauerten Vorstadt Magalia zuweilen selber Byrsa genannt wird (App. Pun. 117; Nepos bei Serv. Aen. 1, 368), ist leicht begreiflich. 5 So rechnet Appian a.a.O.; Diodor gibt, wahrscheinlich mit Einrechnung der Zinnen, die Hoehe auf 40 Ellen oder 60 Fuss. Der erhaltene Ueberrest ist noch 12-16 Fuss (4-5 Meter) hoch. 6 Die bei der Ausgrabung zu Tage gekommenen hufeisenfoermigen Saele haben eine Tiefe von 14, eine Breite von 11 griechischen Fuss; die Weite der Eingaenge wird nicht angegeben. Ob diese Masse und die Verhaeltnisse des Korridors ausreichen, um in ihnen Elefantenstaelle zu erkennen, bleibt durch genauere Ermittlung festzustellen. Die Zwischenmauern, die die Saele voneinander scheiden, haben die Dicke von 1,1 Meter = 3´ Fuss. 7 Oros. hist. 4, 22. Reichlich 2000 Schritte oder – wie Polybios gesagt haben wird – 16 Stadien sind ungefaehr 3000 Meter. Der Burghuegel, auf dem jetzt die Kirche des hl. Ludwig steht, misst oben etwa 1400, auf der halben Hoehe etwa 2600 Meter im Umkreis (Beule, Fouilles, S. 22); auf den unteren Umfang wird jene Angabe recht gut auskommen. 8 Sie traegt jetzt das Fort Goletta. 9 Dass dieses phoenikische Wort das kreisfoermig ausgegrabene Bassin bezeichnet, zeigt sowohl Diod. 3, 44 wie die Bedeutung Becher, in der die Griechen dasselbe verwenden. Es passt also nur auf den inneren Hafen Karthagos, und davon brauchen es auch Strabon (17, 2, 14; wo es eigentlich fuer die Admiralinsel gesetzt ist) und Festus (v. cothones p. 37). Appian (Pun. 127) bezeichnet nicht ganz genau den viereckigen Vorhafen des Kothon als Teil desselben. ————————————— Die schwierige Arbeit, eine so wohlbefestigte Stadt zu bezwingen, wurde noch dadurch erschwert, dass teils die Hilfsmittel der Hauptstadt selbst und des noch immer 800 Ortschaften umfassenden und von der Emigrantenpartei groesstenteils beherrschten Gebietes, teils die zahlreichen mit Massinissa verfeindeten Staemme der ganz oder halb freien Libyer den Karthagern gestatteten, sich nicht auf die Verteidigung der Stadt zu beschraenken, sondern zugleich ein zahlreiches Heer im Felde zu halten, welches bei der verzweifelten Stimmung der Emigranten und der Brauchbarkeit der leichten numidischen Reiterei von den Belagerern nicht ausser acht gelassen werden durfte. Es hatten somit die Konsuln eine keineswegs leichte Aufgabe zu loesen, als sie nun doch sich genoetigt sahen, die Belagerung regelrecht zu beginnen. Manius Manilius, der das Landheer befehligte, schlug sein Lager der Burgmauer gegenueber, waehrend Lucius Censorinus mit der Flotte an dem See sich aufstellte und dort auf der Landzunge die Operationen begann. Die karthagische Armee unter Hasdrubal lagerte an dem andern Ufer des Sees bei der Festung Nepheris, von wo aus sie den zum Holzfaellen fuer den Maschinenbau ausgeschickten roemischen Soldaten ihre Arbeit erschwerte und namentlich der tuechtige Reiterfuehrer Himilkon Phameas den Roemern viele Leute toetete. Indes stellte Censorinus auf der Landzunge zwei grosse Sturmboecke her und brach mit ihnen Bresche an dieser schwaechsten Stelle der Mauer; der Sturm indes musste, da es Abend geworden, verschoben werden. In der Nacht gelang es den Belagerten, einen grossen Teil der Bresche zu fuellen und durch einen Ausfall die roemischen Maschinen so zu beschaedigen, dass sie am naechsten Tage nicht weiterarbeiten konnten. Dennoch wagten die Roemer den Sturm; allein sie fanden die Bresche und die naechsten Mauerabschnitte und Haeuser stark besetzt und gingen so unvorsichtig vor, dass sie mit starkem Verlust zurueckgeschlagen wurden und noch weit groessere Nachteile erlitten haben wuerden, wenn nicht der Kriegstribun Scipio Aemilianus, den Ausgang des tolldreisten Angriffs vorhersehend, seine Leute vor den Mauern zusammengehalten und mit ihnen die Fluechtenden aufgenommen haette. Noch viel weniger richtete Manilius gegen die unbezwingliche Burgmauer aus. So zog die Belagerung sich in die Laenge. Die durch die Sommerhitze im Lager erzeugten Krankheiten, die Abreise des faehigeren Feldherrn Censorinus, endlich die Verstimmung und Untaetigkeit Massinissas, der begreiflicherweise die Roemer sehr ungern die laengst begehrte Beute fuer sich selber nehmen sah, und der bald darauf (Ende 605 149) erfolgte Tod des neunzigjaehrigen Koenigs brachten die Offensivoperationen der Roemer voellig ins Stocken. Sie hatten genug zu tun, um ihre Schiffe gegen die karthagischen Brander und ihr Lager gegen die naechtlichen Ueberfaelle zu schuetzen und durch Anlegung eines Hafenkastells und Streifzuege in die Umgegend Nahrung fuer Menschen und Pferde zu beschaffen. Zwei gegen Hasdrubal gerichtete Expeditionen blieben beide ohne Erfolg, ja die erste haette bei der schlechten Fuehrung auf dem schwierigen Terrain fast mit einer foermlichen Niederlage geendigt. So ruhmlos dieser Krieg fuer den Feldherrn wie fuer das Heer verlief, so glaenzend tat der Kriegstribun Scipio darin sich hervor. Er war es, der bei dem Nachtsturm der Feinde auf das roemische Lager, mit einigen Reiterschwadronen ausrueckend und den Feind in den Ruecken fassend, ihn zum Umkehren noetigte. Auf dem ersten Zug nach Nepheris machte er nach dem Flussuebergang, der wider seinen Rat stattgefunden hatte und fast das Verderben des Heeres geworden waere, durch einen verwegenen Seitenangriff dem rueckkehrenden Heer Luft und befreite eine schon verloren gegebene Abteilung durch seinen aufopfernden Heldenmut. Waehrend die uebrigen Offiziere, der Konsul vor allem, durch ihre Wortlosigkeit die zu Unterhandlungen geneigten Staedte und Parteifuehrer zurueckschreckten, gelang es Scipio, einen der tuechtigsten von diesen, Himilkon Phameas, mit 2200 Reitern zum Uebertritt zu bestimmen. Endlich, nachdem er, den Auftrag des sterbenden Massinissa erfuellend, unter dessen drei Soehne, die Koenige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, das Reich geteilt hatte, fuehrte er in Gulussa einen seines Vaters wuerdigen Reiterfuehrer dem roemischen Heer zu und half damit dem bisher empfindlich gefuehlten Mangel an leichter Reiterei ab. Sein feines und doch schlichtes Wesen, das mehr an seinen leiblichen Vater erinnerte als an den, dessen Namen er trug, bezwang auch den Neid, und im Lager wie in der Hauptstadt war Scipios Name auf allen Lippen. Selbst Cato, der nicht freigebig mit seinem Lobe war, wandte wenige Monate vor seinem Tode – er starb am Ende des Jahres 605 (149), ohne den Wunsch seines Lebens, die Vernichtung Karthagos, erfuellt gesehen zu haben – auf den jungen Offizier und seine unfaehigen Kameraden die Homerische Zeile an: “Einzig er ist ein Mann, die andern sind wandelnde Schatten ^10.” ——————————————— ^10 Oios pepytai, toi de skiai aissoysin. ——————————————— Ueber diese Vorgaenge war der Jahresschluss und damit der Kommandowechsel herangekommen: ziemlich spaet erschien der Konsul Lucius Piso (606 148) und uebernahm den Oberbefehl des Landheeres so wie Lucius Mancinus den der Flotte. Indes, hatten die Vorgaenger wenig geleistet, so geschah nun gar nichts. Statt mit der Belagerung Karthagos oder der Ueberwindung der Armee Hasdrubals beschaeftigte Piso sich damit, die kleinen phoenikischen Seestaedte anzugreifen und auch dies meist ohne Erfolg, wie zum Beispiel Clupea ihn zurueckschlug und er von Hippon Diarrhytos, nachdem er den ganzen Sommer davor verloren hatte und das Belagerungsgeraet ihm zweimal verbrannt worden war, schimpflich abziehen musste. Neapolis ward zwar genommen; aber die Pluenderung der Stadt gegen das gegebene Ehrenwort war auch dem Fortgang der roemischen Waffen nicht sonderlich guenstig. Der Mut der Karthager stieg. Ein numidischer Scheik Bithyas ging mit 800 Pferden zu ihnen ueber; karthagische Gesandte konnten es versuchen, mit den Koenigen von Numidien und Mauretanien, ja, mit dem falschen Philippos von Makedonien Verbindungen einzuleiten. Vielleicht mehr die inneren Zerwuerfnisse – Hasdrubal der Emigrant verdaechtigte den gleichnamigen Feldherrn, der in der Stadt befehligte, wegen seiner Verwandtschaft mit Massinissa und liess ihn im Rathause erschlagen – als die Taetigkeit der Roemer verhinderten eine fuer Karthago noch guenstigere Wendung der Dinge. So griff man in Rom, um dem besorglichen Stand der afrikanischen Angelegenheiten Wandel zu schaffen, zu der ausserordentlichen Massregel, dem einzigen Mann, der bis jetzt von den libyschen Feldern Ehre heimgebracht hatte und den sein Name selbst fuer diesen Krieg empfahl, dem Scipio, statt der Aedilitaet, um die er eben sich bewarb, mit Beseitigung der entgegenstehenden Gesetze vor der Zeit das Konsulat und durch besonderen Beschluss die Fuehrung des Afrikanischen Krieges zu uebertragen. Er traf (607 147) in Utica in einem Augenblick ein, wo viel auf dem Spiel stand. Der roemische Admiral Mancinus, von Piso mit der nominellen Fortsetzung der Belagerung der Hauptstadt beauftragt, hatte eine steile, von dem bewohnten Bezirk weit entlegene und kaum verteidigte Klippe an der schwer zugaenglichen Seite der Aussenstadt Magalia besetzt und fast seine gesamte, nicht zahlreiche Mannschaft dort vereinigt, in der Hoffnung, von hier aus in die Aussenstadt eindringen zu koennen. In der Tat waren die Angreifer schon einen Augenblick innerhalb der Tore derselben gewesen, und schon war der Lagertross in der Hoffnung auf Beute in Masse herbeigestroemt, als sie wieder auf die Klippe zurueckgedraengt wurden und ohne Zufuhr und fast abgeschnitten in der groessten Gefahr schwebten. So fand Scipio die Lage der Dinge. Kaum angekommen, entsandte er die mitgebrachte Mannschaft und die Miliz von Utica zu Schiff nach dem bedrohten Punkt, und es gelang, dessen Besatzung zu retten und die Klippe selbst zu behaupten. Nachdem diese Gefahr abgewendet schien, begab der Feldherr sich in das Lager Pisos, um das Heer zu uebernehmen und nach Karthago zurueckzufuehren. Hasdrubal aber und Bithyas benutzten seine Abwesenheit, um ihr Lager unmittelbar an die Stadt zu ruecken und den Angriff auf die Besatzung der Klippe von Magalia zu erneuern; indes auch jetzt erschien Scipio mit dem Vortrab der Hauptarmee zeitig genug, um dem Posten abermals Beistand zu leisten. Danach begann von neuem und ernstlicher die Belagerung. Vor allen Dingen saeuberte Scipio das Lager von der Masse des Trosses und der Marketender und zog die erschlafften Zuegel der Disziplin wieder mit Strenge an. Bald nahmen auch die militaerischen Operationen einen lebhafteren Gang. Bei einem naechtlichen Angriff auf die Aussenstadt gelangten von einem Turme aus, der den Mauern an Hoehe gleich vor denselben stand, die Roemer auf die Zinnen und oeffneten ein Pfoertchen, durch das das ganze Heer eindrang. Die Karthager gaben die Aussenstadt und das Lager vor den Toren auf und uebertrugen den Oberbefehl ueber die auf 30000 Mann sich belaufende staedtische Besatzung an Hasdrubal. Der neue Kommandant bewies seine Energie zuvoerderst dadurch, dass er saemtliche roemische Gefangenen auf die Mauerzinnen bringen und sie vor den Augen des Belagerungsheeres nach grausamen Martern in die Tiefe stuerzen liess; und als hierueber Stimmen des Tadels sich erhoben, wurde auch gegen die Buerger die Schreckensherrschaft eingefuehrt. Scipio inzwischen suchte, nachdem er die Stadt auf sich selber beschraenkt hatte, ihr den Verkehr nach aussen hin voellig abzuschneiden. Er selbst nahm sein Hauptquartier auf dem Erdruecken, durch den die karthagische Halbinsel mit dem Festland zusammenhaengt, und schlug hier trotz der vielfachen Versuche der Karthager, den Bau zu stoeren, ein grosses, diesen Ruecken in seiner ganzen Breite schliessendes Lager, das die Stadt nach der Landseite hin vollstaendig absperrte. Indes liefen noch immer Proviantschiffe in den Hafen ein, teils kuehne Kauffahrer, die der hohe Gewinn lockte, teils Schiffe des Bithyas, der von Nepheris am Ende des Tunesischen Sees aus jeden guenstigen Fahrwind benutzte, um Lebensmittel nach der Stadt zu bringen; wie auch daselbst die Buergerschaft schon litt, die Besatzung war noch hinreichend versorgt. Scipio zog deshalb von der Landzunge zwischen See und Golf in den letzteren hinein einen Steindamm von 96 Fuss Breite, um damit die Hafenmuendung zu sperren. Die Stadt schien verloren, als das Gelingen dieses anfangs von den Karthagern als unausfuehrbar verspotteten Unternehmens offenbar ward. Aber eine Ueberraschung machte die andere wett. Waehrend die roemischen Arbeiter an dem Damm schanzten, wurde auch im karthagischen Hafen zwei Monate lang Tag und Nacht gearbeitet, ohne dass selbst die Ueberlaeufer zu sagen wussten, was die Belagerten beabsichtigten. Ploetzlich, als eben die Roemer mit der Verbauung des Hafeneingangs fertig waren, segelten aus demselben Hafen fuenfzig karthagische Dreidecker und eine Anzahl Boote und Kaehne hinaus in den Golf -die Karthager hatten, waehrend die Feinde die alte Hafenmuendung gegen Sueden sperrten, durch einen in oestlicher Richtung gezogenen Kanal sich einen neuen Ausgang geschaffen, welcher bei der Tiefe des Meeres an dieser Stelle unmoeglich gesperrt werden konnte. Haetten die Karthager, statt mit dem Paradezug sich zu begnuegen, sofort sich mit Entschlossenheit auf die halbabgetakelte und voellig unvorbereitete roemische Flotte gestuerzt, so war diese verloren; als sie am dritten Tage wiederkehrten, um die Seeschlacht zu liefern, fanden sie die Roemer geruestet. Der Kampf verlief ohne Entscheidung; bei der Rueckfahrt aber stopften sich die karthagischen Schiffe so sehr in und vor der Hafenmuendung, dass der dadurch entstandene Schaden einer Niederlage gleichkam. Scipio richtete nun seine Angriffe auf den aeusseren Hafenkai, welcher ausserhalb der Stadtmauern lag und nur durch einen vor kurzem angelegten Erdwall notduerftig geschuetzt war. Die Maschinen wurden auf der Landzunge aufgestellt und eine Bresche war leicht gemacht; aber mit beispielloser Unerschrockenheit griffen die Karthager, die Untiefen durchwatend, das Belagerungszeug an, verjagten die Besatzungsmannschaft, welche so ins Laufen kam, dass Scipio seine eigenen Reiter auf sie einhauen lassen musste, und zerstoerten die Maschinen. Auf diese Weise gewannen sie Zeit, die Bresche zu schliessen. Scipio stellte indes die Maschinen wieder her und schoss die Holztuerme der Feinde in Brand, wodurch er den Kai und damit den Aussenhafen in seine Gewalt bekam. Ein der Stadtmauer an Hoehe gleichkommender Wall wurde hier aufgefuehrt, und es war jetzt endlich die Stadt von der Land- wie von der Seeseite vollstaendig abgesperrt, da man nur durch den aeusseren in den inneren Hafen gelangte. Um die Blockade vollstaendig zu sichern, liess Scipio das Lager bei Nepheris, das jetzt Diogenes befehligte, von Gaius Laelius angreifen; durch eine glueckliche Kriegslist ward es erobert und die ganze dort versammelte zahllose Menschenmasse getoetet oder gefangen. Darueber war der Winter herangekommen, und Scipio stellte die Operationen ein, es dem Hunger und den Seuchen ueberlassend, das Begonnene zu vollenden. Wie furchtbar die Gewaltigen des Herrn inzwischen an dem Vernichtungswerk gearbeitet hatten, waehrend Hasdrubal freilich fortfuhr zu prahlen und zu prassen, zeigte sich, so wie im Fruehling 608 (146) das roemische Heer zum Angriff gegen die innere Stadt ueberging. Hasdrubal liess den Aussenhafen anzuenden und machte sich bereit, den auf den Kothon erwarteten Sturm abzuschlagen; aber Laelius gelang es, weiter aufwaerts die von der ausgehungerten Besatzung kaum noch verteidigte Mauer zu uebersteigen und so bis an den inneren Hafen vorzudringen. Die Stadt war erobert, aber der Kampf noch keineswegs zu Ende. Die Angreifer besetzten den an den kleinen Hafen anstossenden Markt und drangen in den drei schmalen, von diesem nach der Burg zu fuehrenden Strassen langsam vor – langsam, denn von den gewaltigen bis zu sechs Stockwerken hohen Haeusern musste eines nach dem andern erstuermt werden; auf den Daechern oder auf ueber die Strasse gelegten Balken drang der Soldat von einem dieser festungsaehnlichen Gebaeude in das benachbarte oder gegenueberstehende vor und stiess nieder, was darin ihm vorkam. So verflossen sechs Tage, schreckliche fuer die Bewohner der Stadt und auch fuer die Angreifer voll Not und Gefahr; endlich langte man vor dem steilen Burgfelsen an, auf den sich Hasdrubal und die noch uebrige Mannschaft zurueckgezogen hatten. Um einen breiteren Aufweg zu bekommen, befahl Scipio, die eroberten Strassen anzuzuenden und den Schutt zu planieren, bei welcher Veranlassung eine Menge in den Haeusern versteckter kampfunfaehiger Personen elend umkamen. Da endlich bat der auf der Burg zusammengedraengte Rest der Bevoelkerung um Gnade. Das nackte Leben ward ihnen zugestanden und sie erschienen vor dem Sieger, 30000 Maenner und 25000 Frauen, nicht der zehnte Teil der ehemaligen Bevoelkerung. Einzig die roemischen Ueberlaeufer, 900 an der Zahl, und der Feldherr Hasdrubal mit seiner Gattin und seinen beiden Kindern hatten sich in den Tempel des Heilgottes geworfen: fuer sie, fuer die desertierten Soldaten wie fuer den Moerder der roemischen Gefangenen, gab es keinen Vertrag. Aber als nun, dem Hunger erliegend, die entschlossensten unter ihnen den Tempel anzuendeten, ertrug Hasdrubal es nicht, dem Tode ins Auge zu sehen; einzeln entrann er zu dem Sieger und bat kniefaellig um sein Leben. Es ward ihm gewaehrt; aber wie seine Gattin, die mit ihren Kindern unter den uebrigen auf dem Tempeldach sich befand, ihn zu den Fuessen Scipios erblickte, schwoll ihr das stolze Herz ueber diese Schaendung der teuren untergehenden Heimat und den Gemahl mit bitteren Worten erinnernd, seines Lebens sorglich zu schonen, stuerzte sie erst die Soehne und dann sich selber in die Flammen. Der Kampf war zu Ende. Der Jubel im Lager wie in Rom war grenzenlos; nur die Edelsten des Volkes schaemten im stillen sich der neuesten Grosstat der Nation. Die Gefangenen wurden groesstenteils zu Sklaven verkauft; einzelne liess man im Kerker verkommen; die vornehmsten, Bithyas und Hasdrubal, wurden als roemische Staatsgefangene in Italien interniert und leidlich behandelt. Das bewegliche Gut, soweit es nicht Gold und Silber war oder Weihgeschenk, ward den Soldaten zur Pluenderung preisgegeben; von den Tempelschaetzen ward die in besseren Zeiten von Karthago aus den sizilischen Staedten weggefuehrte Beute diesen zurueckgestellt, wie zum Beispiel der Stier des Phalaris den Akragantinern; das uebrige, fiel an den roemischen Staat. Indes noch stand die Stadt zum bei weitem groessten Teil. Es ist glaublich, dass Scipio die Erhaltung derselben wuenschte; wenigstens richtete er deswegen noch eine besondere Anfrage an den Senat. Scipio Nasica versuchte noch einmal, die Forderungen der Vernunft und der Ehre geltend zu machen; es war vergebens. Der Senat befahl dem Feldherrn, die Stadt Karthago und die Aussenstadt Magalia dem Boden gleich zu machen, desgleichen alle Ortschaften, die es bis zuletzt mit Karthago gehalten; sodann ueber den Boden Karthagos den Pflug zu fuehren, um der Existenz der Stadt in Form Rechtens ein Ende zu machen, und Grund und Boden auf ewige Zeiten zu verwuenschen, also dass weder Haus noch Kornfeld je dort entstehen moege. Es geschah wie befohlen war. Siebzehn Tage brannten die Ruinen; als vor kurzem die Ueberreste der karthagischen Stadtmauer aufgegraben wurden, fand man sie bedeckt mit einer vier bis fuenf Fuss tiefen, von halb verkohlten Holzstuecken, Eisentruemmern und Schleuderkugeln erfuellten Aschenlage. Wo die fleissigen Phoeniker ein halbes Jahrtausend geschafft und gehandelt hatten, weideten fortan roemische Sklaven die Herden ihrer fernen Herren. Scipio aber, den die Natur zu einer edleren als zu dieser Henkerrolle bestimmt hatte, sah schaudernd auf sein eigenes Werk, und statt der Siegesfreude erfasste den Sieger selber die Ahnung der solcher Untat unausbleiblich nachfolgenden Vergeltung. Es blieb noch uebrig, fuer die kuenftige Organisation der Landschaft die Einrichtungen zu treffen. Die fruehere Weise, mit den gewonnenen ueberseeischen Besitzungen die Bundesgenossen zu belehnen, ward nicht ferner beliebt. Micipsa und seine Brueder behielten im wesentlichen ihr bisheriges Gebiet mit Einschluss der kuerzlich am Bagradas und in Emporia den Karthagern entrissenen Distrikte; die lange genaehrte Hoffnung, Karthago zur Hauptstadt zu erhalten, ward fuer immer vereitelt; dafuer verehrte ihnen der Senat die karthagischen Buechersammlungen. Die karthagische Landschaft, wie die Stadt sie zuletzt besessen hatte, das heisst der schmale, Sizilien zunaechst gegenueberliegende Kuestenstrich von Afrika, vom Tuscafluss (bei Thabzaca) bis Thaenae (der Insel Kerkena gegenueber), ward eine roemische Provinz. Im Binnenland, wo die uebergriffe Massinissas die karthagische Herrschaft fortwaehrend weiter beschraenkt hatten und schon Bulla, Zama, Aquae den Koenigen gehoerten, blieb den Numidiern, was sie besassen. Allein die sorgfaeltige Regulierung der Grenze zwischen der roemischen Provinz und dem auf drei Seiten dieselbe einschliessenden numidischen Koenigreich zeugte davon, dass Rom gegen sich keineswegs dulden werde, was es gegen Karthago verstattet hatte; wogegen der Name der neuen Provinz, Africa, andererseits darauf hinzudeuten schien, dass Rom die gegenwaertig abgesteckte Grenze durchaus nicht als eine definitive betrachte. Die Oberverwaltung der neuen Provinz uebernahm ein roemischer Statthalter, dessen Sitz Utica wurde. Einer regelmaessigen Grenzverteidigung bedurfte dieselbe nicht, da das verbuendete Numidische Reich sie ueberall von den Bewohnern der Wueste schied. Hinsichtlich der Abgaben verfuhr man im ganzen mit Milde. Diejenigen Gemeinden, die seit Anfang des Krieges auf seiten der Roemer gestanden hatten – es waren dies nur die Seestaedte Utica, Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus, Achulla, Usalis und die Binnenstadt Theudalis -, behielten ihre Mark und wurden Freistaedte; dasselbe Recht empfing die neugegruendete Gemeinde der Ueberlaeufer. Das Stadtgebiet Karthagos, mit Ausnahme eines an Utica verschenkten Striches, und das der uebrigen zerstoerten Ortschaften ward roemisches Domanialland, welches man durch Verpachtung verwertete. Die uebrigen Ortschaften verloren gleichfalls dem Rechte nach ihr Bodeneigentum und ihre staedtischen Freiheiten; doch wurde ihnen ihr Acker und ihre Verfassung bis auf weitere Anordnung der roemischen Regierung vorlaeufig als widerruflicher Besitz gelassen und zahlten die Gemeinden fuer die Nutzung des roemisch gewordenen Bodens jaehrlich nach Rom eine ein fuer allemal normierte Abgabe (stipendium), welche sie dann ihrerseits mittels einer Vermoegenssteuer von den einzelnen Abgabepflichtigen wiedereinzogen. Die eigentlichen Gewinner aber bei dieser Zerstoerung der ersten Handelsstadt des Westens waren die roemischen Kaufleute, welche, sowie Karthago in Asche lag, scharenweise nach Utica stroemten und von dort aus nicht bloss die roemische Provinz, sondern auch die bis dahin ihnen verschlossenen numidischen und gaetulischen Landschaften auszubeuten begannen. Um dieselbe Zeit wie Karthago verschwand auch Makedonien aus der Reihe der Nationen. Die vier kleinen Eidgenossenschaften, in die die Weisheit des roemischen Senats das alte Koenigreich zerstueckelt hatte, konnten in sich und untereinander nicht zum Frieden kommen; wie es in dem Lande zuging, zeigt ein einzelner, zufaellig erwaehnter Vorfall in Phakos, wo der gesamte Regierungsrat einer dieser Eidgenossenschaften auf Anstiften eines gewissen Damasippos ermordet wurde. Weder die Kommissionen, die der Senat abordnete (590 164), noch die nach griechischer Sitte von den Makedoniern herbeigerufenen fremden Schiedsrichter, wie zum Beispiel Scipio Aemilianus (603 151), vermochten einen leidlichen Zustand herzustellen. Da erschien ploetzlich in Thrakien ein junger Mann, der sich Philippos nannte, den Sohn des Koenigs Perseus, welchem er auffallend glich, und der syrischen Laodike. Seine Jugend hatte er in der mysischen Stadt Adramytion verlebt; hier behauptete er die sicheren Beweise seiner hohen Abstammung erhalten zu haben. Mit diesen hatte er, nach einem vergeblichen Versuch, in seinem Heimatland sich geltend zu machen, sich an seiner Mutter Bruder, Koenig Demetrios Soter von Syrien, gewandt. Es fanden sich in der Tat einige Maenner, die dem Adramytener glaubten oder zu glauben vorgaben und den Koenig bestuermten, den Prinzen entweder in sein angeerbtes Reich wiedereinzusetzen oder ihm die Krone Syriens abzutreten; worauf Demetrios, um dem tollen Treiben ein Ende zu machen, den Praetendenten festnahm und den Roemern zuschickte. Indes der Senat achtete des Menschen so wenig, dass er ihn in einer italischen Stadt konfinierte, ohne ihn auch nur ernstlich bewachen zu lassen. So war er nach Milet entflohen, wo die staedtischen Behoerden ihn abermals aufgriffen und bei roemischen Kommissarien anfragten, was sie mit dem Gefangenen machen sollten. Diese rieten, ihn laufen zu lassen; es geschah. Jetzt versuchte er denn weiter in Thrakien sein Glueck; und wunderbarerweise fand er hier Anerkennung und Unterstuetzung, nicht bloss bei den thrakischen Barbarenfuersten Teres, dem Gemahl seiner Vaterschwester, und Barsabas, sondern auch bei den klugen Byzantiern. Mit thrakischer Unterstuetzung drang der sogenannte Philipp in Makedonien ein, und obwohl er anfangs geschlagen ward, erfocht er doch bald einen Sieg ueber das makedonische Aufgebot in der Odomantike jenseits des Strymon und darauf einen zweiten diesseits des Flusses, der ihm den Besitz von ganz Makedonien verschaffte. So apokryphisch seine Erzaehlung klang und so entschieden es feststand, dass der echte Philippos Perseus’ Sohn achtzehn Jahre alt in Alba gestorben und dieser Mensch nichts weniger als ein makedonischer Prinz, sondern der adramytenische Walker Andriskos sei, so war man doch in Makedonien der Koenigsherrschaft zu sehr gewohnt, um nicht mit der Legitimitaetsfrage sich rasch abzufinden und gern in das alte Gleis wiedereinzulenken. Schon kamen Boten von den Thessalern, dass der Praetendent in ihr Gebiet eingerueckt sei; der roemische Kommissar Nasica, der in der Erwartung, dass das erste ernste Wort dem toerichten Beginnen ein Ende machen werde, vom Senat ohne Soldaten nach Makedonien gesandt worden war, musste die achaeische und pergamenische Mannschaft aufbieten und mit den Achaeern Thessalien gegen die Uebermacht, soweit es anging, schirmen, bis (605? 149) der Praetor Juventius mit einer Legion erschien. Dieser griff mit seiner geringen Streitmacht die Makedonier an; allein er selber fiel, sein Heer ging fast ganz zugrunde und Thessalien geriet zum groessten Teil in die Gewalt des falschen Philippos, der sein Regiment hier und in Makedonien in grausamer und uebermuetiger Weise handhabte. Endlich betrat ein staerkeres roemisches. Heer unter Quintus Caecilius Metellus den Kampfplatz und drang, unterstuetzt durch die pergamenische Flotte, in Makedonien ein. Zwar behielten in dem ersten Reitergefecht die Makedonier die Oberhand; allein bald traten Spaltungen und Desertionen im makedonischen Heer ein, und der Fehler des Praetendenten, sein Heer zu teilen und die eine Haelfte nach Thessalien zu detachieren, verschaffte den Roemern einen leichten und entscheidenden Sieg (606 148). Philippos fluechtete nach Thrakien zu dem Haeuptling Byzes, wohin Metellus ihm folgte und nach einem zweiten Sieg seine Auslieferung erlangte. Die vier makedonischen Eidgenossenschaften hatten sich dem Praetendenten nicht freiwillig unterworfen, sondern waren lediglich der Gewalt gewichen. Nach der bisher befolgten Politik lag also kein Grund vor, den Makedoniern den Schatten von Selbstaendigkeit zu nehmen, den die Schlacht von Pydna ihnen noch gelassen hatte; dennoch wurde das Reich Alexanders jetzt auf Befehl des Senats von Metellus in eine roemische Provinz verwandelt. Sehr deutlich ward es hier, dass die roemische Regierung ihr System geaendert und das Klientel- durch das Untertanenverhaeltnis zu ersetzen beschlossen hatte; und darum wurde die Einziehung der vier makedonischen Eidgenossenschaften in dem ganzen Kreise der Klientelstaaten als ein gegen alle gerichteter Schlag empfunden. Die frueher nach den ersten roemischen Siegen von Makedonien abgerissenen Besitzungen in Epeiros, die Ionischen Inseln und die Haefen Apollonia und Epidamnos, welche bisher zu dem italischen Beamtensprengel gehoert hatten, wurden jetzt wieder mit Makedonien vereinigt, so dass dasselbe, wahrscheinlich schon um diese Zeit, im Nordosten bis jenseits Skodra reichte, wo Illyricum begann. Ebenso fiel die Schutzherrlichkeit, die Rom ueber das eigentliche Griechenland in Anspruch nahm, von selbst dem neuen Statthalter von Makedonien zu. So erhielt Makedonien die Einigkeit zurueck und auch ungefaehr wieder die Grenzen, wie es sie in seiner bluehendsten Zeit gehabt; aber es war nicht mehr ein einiges Reich, sondern eine einige Provinz, mit kommunaler und selbst wie es scheint landschaftlicher Organisation, jedoch unter einem italischen Vogt und Schatzmeister, deren Namen auch wohl auf den Landesmuenzen neben dem der Landschaft erscheinen. Als Steuer blieb die alte maessige Abgabe, wie Paullus sie angeordnet hatte, eine Summe von 100 Talenten (155000 Talern), die in festen Betraegen auf die einzelnen Gemeinden umgelegt war. Dennoch vermochte das Land seiner alten ruhmreichen Dynastie noch nicht zu vergessen. Wenige Jahre nach der Besiegung des falschen Philippos pflanzte ein anderer angeblicher Perseussohn, Alexander, am Nestos (Karasu) die Fahne der Insurrektion auf und hatte in kurzer Zeit 1600 Mann vereinigt; allein der Quaestor Lucius Tremellius ward des Aufstandes ohne Muehe Herr und verfolgte den fliehenden Praetendenten bis nach Dardanien (612 142). Dies aber ist auch die letzte Regung des stolzen makedonischen Nationalsinns, der zwei Jahrhunderte zuvor in Hellas und Asien so grosse Dinge vollbracht hatte; seitdem ist von den Makedoniern kaum etwas anderes zu berichten, als dass sie fortfuhren, von dem der definitiven Provinzialorganisation der Landschaft (608 146) an ihre tatenlosen Jahre zu zaehlen. Fortan waren es die Roemer, denen die Verteidigung der makedonischen Nord- und Ostgrenzen, das heisst der Grenze der hellenischen Zivilisation gegen die Barbaren, oblag. Sie ward von ihnen mit unzulaenglichen Streitkraeften und im ganzen nicht mit der gebuehrenden Energie gefuehrt; doch ist zunaechst fuer diesen militaerischen Zweck die grosse Egnatische Chaussee angelegt worden, welche schon zu Polybios’ Zeit von den beiden Haupthaefen an der Westkueste, Apollonia und Dyrrhachion, quer durch das Binnenland nach Thessalonike, spaeter noch weiter bis an den Hebros (Maritza) lief ^11. Die neue Provinz ward die natuerliche Basis teils fuer die Zuege gegen die unruhigen Dalmater, teils fuer die zahlreichen Expeditionen gegen die nordwaerts der griechischen Halbinsel ansaessigen illyrischen, keltischen und thrakischen Staemme, die spaeter in ihrem geschichtlichen Zusammenhang darzustellen sein werden. ——————————————- ^11 Als Handelsstrasse zwischen dem Adriatischen und Schwarzen Meer, als diejenige naemlich, in deren Mitte die kerkyraeischen Weinkruege den thasischen und lesbischen begegnen, kennt diese Strasse schon der Verfasser der pseudo- aristotelischen Schrift ‘Von den merkwuerdigen Dingen’. Auch heute noch laeuft dieselbe wesentlich in gleicher Richtung von Durazzo, die Berge von Bagora (Kandavisches Gebirge) am See von Ochrida (Lychnitis) durchschneidend, ueber Monastir nach Saloniki. —————————————— Mehr als Makedonien hatte das eigentliche Griechenland sich der Gunst der herrschenden Macht zu erfreuen; und die Philhellenen Roms mochten wohl der Ansicht sein, dass daselbst die Nachwehen des Perseischen Krieges im Verschwinden und die Verhaeltnisse ueberhaupt auf dem Wege zum Besseren seien. Die verbissensten Aufhetzer der jetzt herrschenden Partei, Lykiskos der Aetoler, Mnasippos der Boeoter, Chrematas der Akarnane, der schandbare Epeirote Charops, dem selbst ehrenhafte Roemer ihr Haus verboten, stiegen einer nach dem andern ins Grab; ein anderes Geschlecht wuchs heran, in dem die alten Erinnerungen und die alten Gegensaetze verblasst waren. Der roemische Senat meinte die Zeit des allgemeinen Vergebens und Vergessens gekommen und entliess im Jahre 604 (150) die noch uebrigen der seit siebzehn Jahren in Italien konfinierten achaeischen Patrioten, deren Freigebung die achaeische Tagsatzung nicht aufgehoert hatte zu fordern. Dennoch irrte man sich. Wie wenig es den Roemern mit all ihrem Philhellenentum gelungen war, den hellenischen Patriotismus innerlich zu versoehnen, offenbarte sich in nichts so deutlich wie in der Stellung der Griechen zu den Attaliden. Koenig Eumenes II. war als Roemerfreund in Griechenland im hoechsten Grade verhasst gewesen; kaum aber war zwischen ihm und den Roemern eine Verstimmung eingetreten, als er in Griechenland ploetzlich populaer ward; wie frueher von Makedonien erwartete der hellenische Euelpides den Erloeser aus der Fremdherrschaft jetzt von Pergamon. Vor allen Dingen aber stieg in der sich selbst ueberlassenen hellenischen Kleinstaaterei zusehends die soziale Zerruettung. Das Land veroedete, nicht durch Krieg und Pest, sondern durch die immer weiter um sich greifende Abneigung der hoeheren Staende, mit Frau und Kindern sich zu plagen; dafuer stroemte wie bisher das verbrecherische oder leichtsinnige Gesindel vorwiegend nach Griechenland, um daselbst den Werbeoffizier zu erwarten. Die Gemeinden versanken in immer tiefere Verschuldung und in oekonomische Ehr- und die daranhaengende Kreditlosigkeit; einzelne Staedte, namentlich Athen und Theben, griffen in ihrer Finanznot geradezu zum Raeuberhandwerk und pluenderten die Nachbargemeinden aus. Auch der innere Hader in den Buenden, zum Beispiel zwischen den freiwilligen und den gezwungenen Mitgliedern der Achaeischen Eidgenossenschaft, war keineswegs beigelegt. Wenn die Roemer, wie es scheint, glaubten, was sie wuenschten, und der augenblicklich herrschenden Ruhe vertrauten, so sollten sie bald erfahren, dass die juengere Generation in Hellas um nichts besser und um nichts klueger als die aeltere war. Die Gelegenheit, um mit den Roemern Haendel anzufangen, brach man geradezu vom Zaune. Um einen schmutzigen Handel zu bedecken, warf um das Jahr 605 (149) der zeitige Vorstand der Achaeischen Eidgenossenschaft, Diaeos, auf der Tagsatzung die Behauptung hin, dass die den Lakedaemoniern als Glied der Achaeischen Eidgenossenschaft von dieser zugestandenen Sonderrechte, die Befreiung von der achaeischen Kriminaljurisdiktion und das Recht, Sondergesandtschaften nach Rom zu schicken, ihnen keineswegs von den Roemern gewaehrleistet seien. Es war eine freche Luege; allein die Tagsatzung glaubte natuerlich, was sie wuenschte, und da sich die Achaeer bereit zeigten, ihre Behauptungen mit den Waffen in der Hand wahrzumachen, gaben die schwaecheren Spartaner vorlaeufig nach, oder vielmehr diejenigen, deren Auslieferung von den Achaeern begehrt ward, verliessen die Stadt, um als Klaeger vor dem roemischen Senat aufzutreten. Der Senat antwortete wie gewoehnlich, dass er eine Kommission zur Untersuchung der Sache senden werde; allein statt dieses Bescheides berichteten die Boten, in Achaia wie in Sparta und beide falsch, dass der Senat zu ihren Gunsten entschieden habe. Die Achaeer, die wegen der soeben in Thessalien geleisteten Bundeshilfe gegen den falschen Philippos sich mehr als je in bundesgenoessischer Gleichheit und politischer Gewichtigkeit fuehlten, rueckten im Jahre 606 (148) unter ihrem Strategen Damokritos in Lakonike ein; vergeblich mahnte, von Metellus aufgefordert, eine nach Asien durchpassierende roemische Gesandtschaft, Frieden zu halten und die Kommissarien des Senats zu erwarten. Eine Schlacht ward geliefert, in der bei 1000 Spartaner fielen, und Sparta haette genommen werden koennen, wenn Damokritos nicht als Offizier ebenso untuechtig gewesen waere wie als Staatsmann. Er ward abgesetzt, und sein Nachfolger Diaeos, der Anstifter all dieses Unfugs, setzte den Krieg eifrig fort, waehrend er gleichzeitig den gefuerchteten Kommandanten von Makedonien der vollen Botmaessigkeit der Achaeischen Eidgenossenschaft versichern liess. Darueber erschien die lange erwartete roemische Kommission, an ihrer Spitze Aurelius Orestes; nun ruhten die Waffen und die achaeische Tagsatzung versammelte sich in Korinth, um ihre Eroeffnungen entgegenzunehmen. Sie waren unerwarteter und unerfreulicher Art. Die Roemer hatten sich entschlossen, die unnatuerliche und usurpierte Einreihung Spartas unter die achaeischen Staaten wiederaufzuheben und ueberhaupt gegen die Achaeer durchzugreifen. Schon einige Jahre zuvor (591 163) hatten dieselben die aetolische Stadt Pleuron aus ihrem Bund entlassen muessen; jetzt wurden sie angewiesen auf saemtliche seit dem Zweiten Makedonischen Krieg gemachte Erwerbungen, das heisst auf Korinth, Orchomenos, Argos, Sparta im Peloponnes und Herakleia am Ota, zu verzichten und ihren Bund wieder auf den Bestand am Ende des Hannibalischen Krieges zurueckzufuehren. Wie dies die achaeischen Abgeordneten vernahmen, stuermten sie sofort auf den Markt, ohne die Roemer auch nur auszuhoeren, und teilten die roemischen Forderungen der Menge mit, worauf der regierende und der regierte Poebel einhellig beschloss, zu allervoerderst saemtliche in Korinth anwesende Lakedaemonier festzusetzen, da ja Sparta dies Unglueck ueber sie gebracht habe. Die Verhaftung erfolgte denn auch in der tumultuarischsten Weise, so dass Lakonername oder Lakonerschuhe als hinreichende Einsperrungsgruende erschienen: ja man drang sogar in die Wohnungen der roemischen Gesandten, um die dorthin gefluechteten Lakedaemonier festzunehmen, und es fielen gegen die Roemer harte Reden, obgleich man an ihrer Person sich nicht vergriff. Indigniert kehrten dieselben heim und fuehrten bittere, selbst uebertriebene Beschwerde im Senat; dennoch beschraenkte sich dieser mit derselben Maessigung, die all seine Massregeln gegen die Griechen bezeichnet, zunaechst auf Vorstellungen. In der mildesten Form und der Genugtuung fuer die erlittenen Beleidigungen kaum erwaehnend, wiederholte Sextus Iulius Caesar auf der Tagsatzung in Aegion (Fruehling 607 147) die Befehle der Roemer. Aber die Leiter der Dinge in Achaia, an ihrer Spitze der neue Strateg Kritolaos (Strateg Mai 607 bis Mai 608 147/46), zogen als staatskluge und in der hoeheren Politik wohlbewanderte Leute daraus bloss den Schluss, dass die roemischen Angelegenheiten gegen Karthago und Viriathus sehr schlecht stehen muessten, und fuhren fort, die Roemer zugleich zu prellen und zu beleidigen. Caesar ward ersucht, zur Ausgleichung der Sache eine Zusammenkunft von Abgeordneten der streitenden Teile in Tegea zu veranstalten; es geschah, allein nachdem Caesar und die lakedaemonischen Gesandten daselbst lange vergeblich auf die Achaeer gewartet hatten, erschien endlich Kritolaos allein und zeigte an, dass lediglich die allgemeine Volksversammlung der Achaeer in dieser Sache kompetent sei und dieselbe erst auf der Tagsatzung, das heisst in sechs Monaten, erledigt werden koenne. Caesar ging darauf nach Rom zurueck; die naechste Volksversammlung der Achaeer aber erklaerte auf Kritolaos’ Antrag foermlich den Krieg gegen Sparta. Auch jetzt noch machte Metellus einen Versuch, den Zwist in Guete beizulegen, und schickte Gesandte nach Korinth; allein die laermende Ekklesia, groesstenteils bestehend aus dem Poebel der reichen Handels- und Fabrikstadt, uebertobte die Stimme der roemischen Gesandten und zwang sie, die Rednerbuehne zu verlassen. Kritolaos’ Erklaerung, dass man die Roemer wohl zu Freunden, aber nicht zu Herren wuensche, ward mit unsaeglichem Jubel aufgenommen, und als die Mitglieder der Tagsatzung sich ins Mittel legen wollten, schuetzte der Poebel den Mann seines Herzens und beklatschte die Stichwoerter von dem Landesverrat der Reichen und der notwendigen Militaerdiktatur sowie die geheimnisvollen Winke ueber die nahe bevorstehende Schilderhebung unzaehliger Voelker und Koenige gegen Rom. Von welchem Geist die Bewegung beseelt war, zeigten die beiden Beschluesse, dass bis zum hergestellten Frieden alle Klubs permanent sein und alle Schuldklagen ruhen sollten. Man hatte also Krieg, ja sogar auch wirkliche Bundesgenossen: die Thebaner und Boeoter naemlich und ferner die Chalkidenser. Schon zu Anfang des Jahres 608 (146) rueckten die Achaeer in Thessalien ein, um Herakleia am Oeta, das in Gemaessheit des Senatsbeschlusses sich von der Achaeischen Eidgenossenschaft losgesagt hatte, wieder zum Gehorsam zu bringen. Der Konsul Lucius Mummius, den der Senat nach Griechenland zu senden beschlossen hatte, war noch nicht eingetroffen; demnach uebernahm es Metellus mit den makedonischen Legionen, Herakleia zu schuetzen. Als dem achaeisch-thebanischen Heer das Anruecken der Roemer gemeldet ward, war von Schlagen nicht mehr die Rede; man ratschlagte einzig, wie es wohl gelingen moechte, den sicheren Peloponnes wieder zu erreichen; eiligst machte die Armee sich davon und versuchte nicht einmal, die Stellung bei den Thermopylen zu halten. Metellus indes beschleunigte die Verfolgung und erreichte und schlug das griechische Heer bei Skarpheia in Lokris. Der Verlust an Gefangenen und Toten war betraechtlich; von Kritolaos ward nach der Schlacht nie wieder eine Kunde vernommen. Die Truemmer der geschlagenen Armee irrten in einzelnen Trupps in den hellenischen Landschaften umher und baten ueberall umsonst um Aufnahme; die Abteilung von Patrae ward in Phokis, das arkadische Elitenkorps bei Chaeroneia aufgerieben; ganz Nordgriechenland wurde geraeumt, und von dem Achaeerheer und der in Masse fluechtenden Buergerschaft von Theben gelangte nur ein geringer Teil in den Peloponnes. Metellus suchte durch die moeglichste Milde die Griechen zum Aufgeben des sinnlosen Widerstandes zu bestimmen und befahl zum Beispiel, alle Thebaner mit Ausnahme eines einzigen laufen zu lassen; seine wohlgemeinten Versuche scheiterten nicht an der Energie des Volkes, sondern an der Desperation der um ihren eigenen Kopf besorgten Fuehrer. Diaeos, der nach Kritolaos’ Fall wieder den Oberbefehl uebernommen hatte, berief alle Waffenfaehigen auf den Isthmos und befahl, 12000 in Griechenland geborene Sklaven in das Heer einzustellen; die Reichen wurden zu Vorschuessen angehalten und unter den Friedensfreunden, soweit sie nicht durch Bestechung der Schreckensherren ihr Leben erkauften, durch Blutgerichte aufgeraeumt. Der Kampf ging also fort und in dem gleichen Stile. Die achaeische Vorhut, die 4000 Mann stark unter Alkamenes bei Megara stand, verlief sich, sowie sie die roemischen Feldzeichen gewahrte. Die Hauptmacht auf dem Isthmos wollte Metellus eben angreifen lassen, als der Konsul Lucius Mummius mit wenigen Begleitern im roemischen Hauptquartier eintraf und das Kommando uebernahm. Inzwischen boten die Achaeer, ermutigt durch einen gelungenen Angriff auf die allzu unvorsichtigen roemischen Vorposten, der roemischen um das Doppelte ueberlegenen Armee bei Leukopetra auf dem Isthmos die Schlacht an. Die Roemer zoegerten nicht sie anzunehmen. Gleich zu Anfang rissen die achaeischen Reiter in Masse aus vor der sechsfach staerkeren roemischen Reiterei; die Hopliten standen dem Feinde, bis ein Flankenangriff des roemischen Elitenkorps auch in ihre Reihen Verwirrung brachte. Damit war der Widerstand zu Ende. Diaeos floh in seine Heimat, toetete sein Weib und nahm selber Gift; die Staedte unterwarfen sich saemtlich ohne Gegenwehr, und sogar das unbezwingliche Korinth, in das einzuruecken Mummius drei Tage zauderte, weil er einen Hinterhalt besorgte, ward ohne Schwertstreich von den Roemern besetzt. Die neue Regelung der griechischen Verhaeltnisse ward in Gemeinschaft mit einer Kommission von zehn Senatoren dem Konsul Mummius uebertragen, der sich in dem eroberten Lande im ganzen ein gesegnetes Andenken erwarb. Zwar war es, gelind gesagt, eine Torheit, dass er seiner Kriegs- und Siegestaten wegen den Namen des “Achaikers” annahm und dem Hercules Sieger dankerfuellt einen Tempel erbaute; allein als Verwalter erwies er, der nicht in aristokratischem Luxus und aristokratischer Korruption aufgewachsen, sondern ein “neuer Mann” und verhaeltnismaessig unbemittelt war, sich gerecht und mild. Es ist eine rednerische Uebertreibung, dass von den Achaeern bloss Diaeos, von den Boeotern bloss Pytheas umgekommen seien; in Chalkis namentlich fielen arge Greuel vor; im ganzen ward aber doch in den Strafgerichten Mass gehalten. Den Antrag, die Statuen des Begruenders der achaeischen Patriotenpartei, des Philopoemen, umzustuerzen, wies Mummius zurueck; die den Gemeinden auferlegten Geldbussen wurden nicht fuer die roemische Kasse, sondern fuer die geschaedigten griechischen Staedte bestimmt, groesstenteils auch spaeter erlassen und das Vermoegen derjenigen Hochverraeter, die Eltern oder Kinder hatten, nicht von Staats wegen verkauft, sondern diesen ueberwiesen. Nur die Kunstschaetze wurden aus Korinth, Thespiae und anderen Staedten weggefuehrt und teils in der Hauptstadt, teils in den Landstaedten Italiens aufgestellt ^12, einzelne Stuecke auch den isthmischen, delphischen und olympischen Tempeln verehrt. Auch in der definitiven Organisation der Landschaft im allgemeinen waltete die Milde. Zwar wurden, wie es die Provinzialverfassung mit sich brachte, die Sondereidgenossenschaften, vor allem die achaeische, als solche aufgeloest, die Gemeinden isoliert und durch die Bestimmung, dass niemand in zweien derselben zugleich Grundbesitz erwerben duerfe, der Zwischenverkehr gehemmt. Ferner wurden, wie es schon Flamininus versucht hatte, die demokratischen Stadtverfassungen durchaus beseitigt und in jeder Gemeinde einem aus den Vermoegenden gebildeten Rat das Regiment in die Hand gegeben. Auch wurde jeder Gemeinde eine feste, nach Rom zu entrichtende Abgabe auferlegt und sie saemtlich dem Statthalter von Makedonien in der Art untergeordnet, dass diesem als oberstem Militaerchef auch in Verwaltung und Gerichtsbarkeit eine Oberleitung zustand und er zum Beispiel wichtigere Kriminalprozesse zur Entscheidung an sich ziehen konnte. Dennoch blieb den griechischen Gemeinden die “Freiheit”, das heisst eine, freilich durch die roemische Hegemonie zum Namen zusammengeschwundene, formelle Souveraenitaet, welche das Eigentum an Grund und Boden und das Recht eigener Verwaltung und Gerichtsbarkeit in sich schloss ^13. Einige Jahre spaeter ward sogar nicht bloss ein Schatten der alten Eidgenossenschaften wieder gestattet, sondern auch die drueckende Beschraenkung in der Veraeusserung des Grundbesitzes beseitigt. —————————————- ^12 Aus den sabinischen Ortschaften, aus Parma, ja aus Italica in Spanien sind noch mehrere mit Mummius’ Namen bezeichnete Basen bekannt, die einst solche Beutegaben trugen. ^13 Die Frage, ob Griechenland im Jahre 608 (146) roemische Provinz geworden sei oder nicht, laeuft in der Hauptsache auf einen Wortstreit hinaus. Dass die griechischen Gemeinden durchgaengig “frei” blieben (CIG 1543, 15; Caes. civ. 3, 5; App. Mithr. 58; Zonar. 9, 31), ist ausgemacht; aber nicht minder ist es ausgemacht, dass Griechenland damals von den Roemern “in Besitz genommen ward” (Tac. arm. 14, 21; 1. Makk. 8, 9,10); dass von da an jede Gemeinde einen festen Zins nach Rom entrichtete (Paus. 7, 16, 6; vgl. Cic. prov. 3, 5), die kleine Insel Gyaros zum Beispiel jaehrlich 150 Drachmen (Strab. 10, 485); dass die “Ruten und Beile” des roemischen Statthalters fortan auch in Griechenland schalteten (Polyb. 38, 1 c; vgl. Cic. Verr. 1. 1, 21, 55) und derselbe die Oberaufsicht ueber die Stadtverfassungen (CIG 1543) sowie in gewissen Faellen die Kriminaljurisdiktion (CIG 1543; Plut. Cim. 2) fortan ebenso uebte wie bis dahin der roemische Senat; dass endlich die makedonische Provinzialaera auch in Griechenland im Gebrauch war. Zwischen diesen Tatsachen ist keineswegs ein Widerspruch oder doch kein anderer als derjenige, welcher ueberhaupt in der Stellung der freien Staedte liegt, welche bald als ausserhalb der Provinz stehend (z. B. Suet. Caes. 25; Colum. 11, 3, 26), bald als der Provinz zugeteilt (z. B. los. ant. lud. 14, 4, 4) bezeichnet werden. Der roemische Domanialbesitz in Griechenland beschraenkte sich zwar auf den Korinthischen Acker und etwa einige Stuecke von Euboea (CIG 5879) und eigentliche Untertanen gab es dort gar nicht; allein darum konnte dennoch, wenn man auf das tatsaechlich zwischen den griechischen Gemeinden und dem makedonischen Statthalter bestehende Verhaeltnis sieht, ebenso wie Massalia zur Provinz Narbo, Dyrrhachion zur Provinz Makedonien, auch Griechenland zu der makedonischen Provinz gerechnet werden. Es finden sich sogar noch viel weitergehende Faelle: Das Cisalpinische Gallien bestand seit 655 (89) aus lauter Buerger- oder latinischen Gemeinden und ward dennoch durch Sulla Provinz; ja in der caesarischen Zeit begegnen Landschaften, die ausschliesslich aus Buergergemeinden bestehen und die dennoch keineswegs aufhoeren, Provinzen zu sein. Sehr klar tritt hier der Grundbegriff der roemischen provincia hervor; sie ist zunaechst nichts als das “Kommando” und alle Verwaltungs- und Jurisdiktionstaetigkeit des Kommandanten sind urspruenglich Nebengeschaefte und Korollarien seiner militaerischen Stellung. Andererseits muss dagegen, wenn man die formelle Souveraenitaet der freien Gemeinden ins Auge fasst, zugestanden werden, dass durch die Ereignisse des Jahres 608 (146) Griechenlands Stellung staatsrechtlich sich nicht aenderte: es waren mehr faktische als rechtliche Verschiedenheiten, dass statt der Achaeischen Eidgenossenschaft jetzt die einzelnen Gemeinden Achaias als tributaere Klientelstaaten neben Rom standen und dass seit Einrichtung der roemischen Sonderverwaltung in Makedonien diese anstatt der hauptstaedtischen Behoerden die Oberaufsicht ueber die griechischen Klientelstaaten uebernahm. Man kann demnach, je nachdem die tatsaechliche oder die formelle Auffassung ueberwiegt, Griechenland als Teil des Kommandos von Makedonien ansehen oder auch nicht; indes wird der ersteren Auffassung mit Recht das Uebergewicht eingeraeumt. ——————————————— Strengere Behandlung aber traf die Gemeinden, Theben, Chalkis und Korinth. Es laesst sich nichts dawider erinnern, dass die ersten beiden entwaffnet und durch Niederreissung ihrer Mauern in offene Flecken umgewandelt wurden; dagegen bleibt die durchaus unmotivierte Zerstoerung der ersten Handelsstadt Griechenlands, des bluehenden Korinth, ein duesterer Schandfleck in den Jahrbuechern Roms. Auf ausdruecklichen Befehl des Senats wurden die korinthischen Buerger aufgegriffen, und was dabei nicht umkam, in die Sklaverei verkauft, die Stadt selbst nicht etwa bloss ihrer Mauern und ihrer Burg beraubt, was, wenn man einmal dieselbe nicht dauernd besetzen wollte, allerdings nicht zu vermeiden war, sondern dem Boden gleichgemacht und in den ueblichen Bannformen jeder Wiederanbau der oeden Staette untersagt, das Gebiet derselben zum Teil an Sikyon gegeben unter der Auflage, anstatt Korinths die Kosten des isthmischen Nationalfestes zu bestreiten, groesstenteils aber zu roemischem Gemeinland erklaert. Also erlosch der “Augapfel von Hellas”, der letzte koestliche Schmuck des einst so staedtereichen griechischen Landes. Fassen wir aber die ganze Katastrophe noch einmal ins Auge, so muss die unparteiische Geschichte es anerkennen, was die Griechen dieser Zeit selbst unumwunden eingestanden, dass an dem Kriege selbst nicht die Roemer die Schuld trugen, sondern dass die unkluge Treubruechigkeit und die schwaechliche Tollkuehnheit der Griechen die roemische Intervention erzwangen. Die Beseitigung der Scheinsouveraenitaet der Buende und alles damit verknuepften unklaren und verderblichen Schwindels war ein Glueck fuer das Land und das Regiment des roemischen Oberfeldherrn von Makedonien, wieviel es auch zu wuenschen uebrig liess, immer noch bei weitem besser als die bisherige Wirr- und Missregierung der griechischen Eidgenossenschaften und der roemischen Kommissionen. Der Peloponnes hoerte auf, die grosse Soeldnerherberge zu sein; es ist bezeugt und begreiflich, dass ueberhaupt mit dem unmittelbaren roemischen Regiment Sicherheit und. Wohlstand einigermassen zurueckkehrten. Das Themistokleische Epigramm, dass der Ruin den Ruin abgewandt habe, wurde von den damaligen Hellenen nicht ganz mit Unrecht angewandt auf den Untergang der griechischen Selbstaendigkeit. Die ungemeine Nachsicht, welche Rom auch jetzt noch gegen die Griechen bewies, tritt erst recht in das Licht, wenn man sie mit dem gleichzeitigen Verfahren derselben Behoerden gegen die Spanier und die Phoeniker zusammenhaelt; Barbaren grausam zu behandeln schien nicht unerlaubt, aber wie spaeter Kaiser Traianus hielten es auch die Roemer dieser Zeit “fuer hart und barbarisch, Athen und Sparta den noch uebrigen Schatten von Freiheit zu entreissen”. Um so schaerfer kontrastiert mit dieser allgemeinen Milde die empoerende, selbst von den Schutzrednern der karthagischen und der numantinischen Katastrophe gemissbilligte Behandlung von Korinth, welche durch die auf den Gassen von Korinth gegen die roemischen Abgeordneten ausgestossenen Schmaehreden auch nach roemischem Voelkerrecht nichts weniger als gerechtfertigt ward. Und doch ging sie keineswegs hervor aus der Brutalitaet eines einzelnen Mannes, am wenigsten des Mummius, sondern war eine vom roemischen Rat erwogene und beschlossene Massregel. Man wird nicht irren, wenn man darin das Werk der Kaufmannspartei erkennt, die in dieser Epoche schon neben der eigentlichen Aristokratie anfaengt, in die Politik einzugreifen, und die in Korinth einen Handelsnebenbuhler beseitigt hat. Wenn die roemischen Grosshaendler bei der Regulierung Griechenlands mit zureden gehabt haben, so begreift man, weshalb das Strafgericht eben gegen Korinth gerichtet ward und weshalb man nicht bloss die Stadt vernichtete, wie sie war, sondern auch die Ansiedlung an dieser fuer den Handel so ueberaus guenstigen Staette fuer die Zukunft verbot. Fuer die auch in Hellas sehr zahlreichen roemischen Kaufleute ward der Mittelpunkt fortan das peloponnesische Argos; wichtiger aber fuer den roemischen Grosshandel ward Delos, das, schon seit 586 (168) roemischer Freihafen, einen guten Teil der Geschaefte von Rhodos an sich gezogen hatte und nun in aehnlicher Weise in die korinthischen eintrat. Diese Insel blieb fuer laengere Zeit der Hauptstapelplatz der vom Osten nach dem Westen gehenden Waren ^14. ———————————- ^14 Ein merkwuerdiger Beleg dafuer ist die Benennung der feinen griechischen Bronze- und Kupferwaren die in der ciceronischen Zeit ohne Unterschied “korinthisches” oder “delisches Kupfer” genannt werden. Die Bezeichnung ist in Italien begreiflicherweise nicht von den Fabrikations-, sondern von den Exportplaetzen hergenommen (Plin. nat. 34, 2, 9); womit natuerlich nicht geleugnet wird, dass dergleichen Gefaesse auch in Korinth und Delos selbst fabriziert wurden. ———————————— Unvollstaendiger als in der nur durch schmale Meere von Italien getrennten afrikanischen und makedonisch-hellenischen Landschaft entwickelte sich die roemische Herrschaft in dem dritten entfernteren Weltteil. In Vorderasien war durch die Zurueckdraengung der Seleukiden das Reich von Pergamon die erste Macht geworden. Nicht geirrt durch die Traditionen der Alexandermonarchien, einsichtig und kuehl genug, um auf das Unmoegliche zu verzichten, verhielten die Attaliden sich ruhig und strebten nicht, ihre Grenzen zu erweitern noch der roemischen Hegemonie sich zu entziehen, sondern den Wohlstand ihres Reiches, soweit die Roemer es erlaubten, zu foerdern und die Kuenste des Friedens zu pflegen. Doch entgingen sie darum der Eifersucht und dem Argwohn Roms nicht. Im Besitz der europaeischen Kueste der Propontis, der Westkueste Kleinasiens und des kleinasiatischen Binnenlandes bis zur kappadokischen und kilikischen Grenze, in enger Verbindung mit den syrischen Koenigen, von denen Antiochos Epiphanes (+ 590 164) durch die Hilfe der Attaliden auf den Thron gelangt war, hatte Koenig Eumenes II. durch seine bei dem immer tieferen Sinken Makedoniens und Syriens nur noch ansehnlicher erscheinende Macht selbst den Begruendern derselben Bedenken eingefloesst; es ist schon erzaehlt worden, wie der Senat darauf bedacht war, nach dem Dritten Makedonischen Krieg diesen Bundesgenossen durch unfeine diplomatische Kuenste zu demuetigen und zu schwaechen. Die an sich schon schwierigen Verhaeltnisse der Herren von Pergamon zu den ganz und halb freien Handelsstaedten innerhalb ihres Reichs und zu den barbarischen Nachbarn an dessen Grenzen wurden durch diese Verstimmung der Schutzherren noch peinlicher verwickelt. Da es nicht klar war, ob nach dem Friedensvertrag von 565 (189) die Taurushoehen in der pamphylischen und pisidischen Landschaft zum Syrischen oder zum Pergamenischen Reich gehoerten, leisteten die tapferen Selger, es scheint unter nomineller Anerkennung der syrischen Oberhoheit, den Koenigen Eumenes Il. und Attalos II. langjaehrigen und energischen Widerstand in den schwer zugaenglichen Gebirgen Pisidiens. Auch die asiatischen Kelten, welche eine Zeitlang unter Zulassung der Roemer unter pergamenischer Botmaessigkeit gestanden hatten, fielen von Eumenes ab und begannen im Einverstaendnis mit dem Erbfeind der Attaliden, dem Koenig Prusias von Bithynien, um 587 (167) ploetzlich gegen ihn Krieg. Der Koenig hatte keine Zeit gehabt, Mietstruppen zu dingen; all seine Einsicht und Tapferkeit konnte nicht verhindern, dass sie die asiatische Miliz schlugen und das Gebiet ueberschwemmten; wir kennen bereits die eigentuemliche Vermittlung, zu der die Roemer auf Eumenes’ Bitte sich herbeiliessen. Sowie er indes Zeit gefunden hatte, mit Hilfe seiner wohlgefuellten Kasse eine kampffaehige Armee aufzustellen, trieb er auch die wilden Scharen schnell zurueck ueber die Grenze seines Reiches; und obwohl Galatien ihm verloren blieb und seine hartnaeckig fortgesetzten Versuche, dort die Haende im Spiel zu behalten, durch roemischen Einfluss vereitelt wurden ^15, hinterliess er dennoch trotz aller offenen Angriffe und geheimen Machinationen, die seine Nachbarn und die Roemer gegen ihn gerichtet hatten, bei seinem Tode (um 595 159) das Reich in ungeschmaelertem Bestand. Sein Bruder Attalos II. Philadelphos (+ 616 138) wies den Versuch des Koenigs Pharnakes von Pontos, sich der Vormundschaft ueber Eumenes’ unmuendigen Sohn zu bemaechtigen, mit roemischer Hilfe zurueck und regierte anstatt seines Neffen wie Antigonos Doson als Vormund auf Lebenszeit. Gewandt, tuechtig, fuegsam, ein echter Attalide, verstand er es, den argwoehnischen Senat von der Nichtigkeit der frueher gehegten Besorgnisse zu ueberzeugen. Die antiroemische Partei beschuldigte ihn, dass er sich dazu hergebe, das Land fuer die Roemer zu hueten und jede Beleidigung und Erpressung von ihnen sich gefallen lasse; indes konnte er, des roemischen Schutzes sicher, in die syrischen, kappadokischen und bithynischen Thronstreitigkeiten entscheidend eingreifen. Auch aus dem gefaehrlichen bithynischen Krieg, den Koenig Prusias II., der Jaeger genannt (572 ? – 605 182-149), ein Regent, der alle barbarischen und alle zivilisierten Laster in sich vereinigte, gegen ihn begann, rettete ihn die roemische Intervention – freilich erst, nachdem er selbst in seiner Hauptstadt belagert und eine erste Mahnung der Roemer von Prusias unbefolgt gelassen, ja verhoehnt worden war (598-600 156-154). Allein mit der Thronbezeigung seines Muendels Attalos III. Philometor (616-621 133-133) trat an die Stelle des friedlichen und maessigen Buergerkoenigtums ein asiatisches Sultanregiment, unter dem es zum Beispiel vorkam, dass der Koenig, um des unbequemen Rats seiner vaeterlichen Freunde sich zu entledigen, sie im Palast versammeln und erst sie, sodann ihre Frauen und Kinder von seinen Lanzknechten niedermachen liess; nebenher schrieb er Buecher ueber den Gartenbau, zog Giftkraeuter und bossierte in Wachs, bis ein ploetzlicher Tod ihn abrief. Mit ihm erlosch das Geschlecht der Attaliden. In solchem Fall konnte nach dem wenigstens fuer die Klientelstaaten Roms gueltigen Staatsrecht der letzte Regent testamentarisch ueber die Sukzession verfuegen. Ob der Gedanke, das Reich den Roemern zu vermachen, dem letzten Attaliden durch den wahnwitzigen Groll gegen seine Untertanen eingegeben worden war, der ihn bei Lebzeiten gepeinigt hatte, oder ob hierin bloss eine weitere Anerkennung der tatsaechlichen Oberlehnsgewalt Roms lag, ist nicht zu entscheiden. Das Testament lag vor ^16; die Roemer traten die Erbschaft an und die Frage ueber das Land und den Schatz der Attaliden fiel in Rom als neuer Erisapfel unter die hadernden politischen Parteien. Aber auch in Asien entzuendete dies Koenigstestament den Buergerkrieg. Im Vertrauen auf die Abneigung der Asiaten gegen die bevorstehende Fremdherrschaft trat ein natuerlicher Sohn Eumenes’ II., Aristonikos in Leukae, einer kleinen Hafenstadt zwischen Smyrna und Phokaea, als Kronpraetendent auf. Phokaea und andere Staedte fielen ihm zu; indes von den Ephesiern, die in dem festen Anschluss an Rom die einzige Moeglichkeit erkannten, ihre Privilegien sich zu erhalten, zur See auf der Hoehe von Kyme geschlagen, musste er in das Binnenland fluechten. Schon glaubte man ihn verschollen; da erschien er ploetzlich wieder an der Spitze der neuen “Buerger der Sonnenstadt” ^17, das heisst der von ihm in Masse zur Freiheit gerufenen Sklaven, bemaechtigte, sich der lydischen Staedte Thyateira und Apollonis sowie eines Teils der attalischen Ortschaften und rief Scharen thrakischer Lanzknechte unter seine Fahnen. Der Kampf ward ernsthaft. Roemische Truppen standen in Asien nicht; die asiatischen Freistaedte und die Kontingente der Klientelfuersten von Bithynien, Paphlagonien, Kappadokien, Pontos, Armenien konnten des Praetendenten sich nicht erwehren; er drang mit gewaffneter Hand in Kolophon, Samos, Myndos ein und gebot schon fast ueber das gesamte vaeterliche Reich, als am Ende des Jahres 623 (131) ein roemisches Heer in Asien landete. Dessen Feldherr, der Konsul und Oberpontifex Publius Licinius Crassus Mucianus, einer der reichsten und zugleich einer der gebildetsten Maenner Roms und als Redner wie als Rechtskenner gleich ausgezeichnet, schickte sich an, den Praetendenten in Leukae zu belagern, liess aber waehrend der Vorbereitungen dazu von dem allzu gering geschaetzten Gegner sich ueberraschen und schlagen und ward selbst von einem thrakischen Haufen gefangen. Den Triumph aber, den Oberfeldherrn Roms als Gefangenen zur Schau zu stellen, goennte er einem solchen Feinde nicht; er reizte die Barbaren, die ihn ergriffen hatten, ohne ihn zu kennen, ihm den Tod zu geben (Anfang 624 130), und erst als Leiche ward der Konsular erkannt. Mit ihm, wie es scheint, fiel Koenig Ariarathes von Kappadokien. Indes ward Aristonikos nicht lange nach diesem Siege von Crassus’ Nachfolger Marcus Perpenna ueberfallen, sein Heer zersprengt, er selbst in Stratonikeia belagert und gefangen und bald darauf in Rom hingerichtet. Die Unterwerfung der letzten, noch Widerstand leistenden Staedte und die definitive Regulierung der Landschaft uebernahm nach Perpennas ploetzlichem Tode Manius Aquillius (625 129). Man verfuhr aehnlich wie im karthagischen Gebiet. Der oestliche Teil des Attalidenreichs ward den Klientelkoenigen ueberwiesen, um die Roemer von dem Grenzschutz und damit von der Notwendigkeit einer stehenden Besatzung in Asien zu befreien; Telmissos kam an die lykische Eidgenossenschaft; die europaeischen Besitzungen in Thrakien wurden zu der Provinz Makedonien geschlagen; das uebrige Gebiet ward als neue roemische Provinz eingerichtet, der gleich der karthagischen nicht ohne Absicht der Name des Weltteils beigelegt ward, in, dem sie lag. Die Steuern, die nach Pergamon gezahlt worden waren, wurden dem Lande erlassen und dasselbe mit gleicher Milde behandelt wie Hellas und Makedonien. So ward der ansehnlichste kleinasiatische Staat eine roemische Vogtei. —————————————- ^15 Mehrere vor kurzem (SB Muenchen, 1860, S. 180f.) bekannt gewordene Schreiben der Koenige Eumenes II. und Attalos II. an den Priester von Pessinus, welcher durchgaengig Attis heisst (vgl. Polyb. 22, 20), erlaeutern diese Verhaeltnisse sehr anschaulich. Das aelteste derselben und das einzige datierte, geschrieben im 34. Regierungsjahre des Eumenes am siebten Tage vor dem Ende des Gorpiaeos, also 590/91 der Stadt (164/63), bietet dem Priester militaerische Hilfe an, um den (sonst nicht bekannten) Pesongern von ihnen besetztes Tempelland zu entreissen. Das folgende, ebenfalls noch von Eumenes, zeigt den Koenig als Partei in der Fehde zwischen dem Priester von Pessinus und dessen Bruder Aiorix. Ohne Zweifel gehoerten beide Handlungen des Eumenes zu denjenigen, die in den Jahren 590f. (164) in Rom zur Anzeige kamen als Versuche desselben, sich in die gallischen Angelegenheiten auch fernerhin zu mengen und dort seine Parteigenossen zu stuetzen (Polyb. 31, 6, 9; 32, 3, 5). Dagegen geht aus einem der Schreiben seines Nachfolgers Attalos hervor, wie sich die Zeiten geaendert und die Wuensche herabgestimmt hatten. Der Priester Attis scheint auf einer Zusammenkunft in Apameia von Attalos abermals die Zusage bewaffneter Hilfe erhalten zu haben; nachher aber schreibt ihm der Koenig, dass in einem deswegen abgehaltenen Staatsrat, dem Athenaeos (sicher der bekannte Bruder des Koenigs), Sosandros, Menogenes, Chloros und andere Verwandte (anagkaioi) beigewohnt haetten, nach langem Schwanken endlich die Majoritaet dem Chloros dahin beigetreten sei, dass nichts geschehen duerfe, ohne die Roemer vorher zu befragen; denn selbst wenn ein Erfolg erreicht werde, setzte man sich dem Wiederverlust und dem boesen Verdacht aus, “den sie auch gegen den Bruder” (Eumenes II.) “gehegt haetten”. ^16 In demselben Testament gab der Koenig seiner Stadt Pergamon die “Freiheit”, das heisst die d/e/mokratia, das staedtische Selbstregiment. Laut einer merkwuerdigen, kuerzlich dort gefundenen Urkunde (Roemisches Staatsrecht, Bd. 3, 3. Aufl., S. 726) beschloss nach Eroeffnung des Testaments, aber vor dessen Bestaetigung durch die Roemer der also konstituierte Demos den bisher vom Buergerrecht ausgeschlossenen Klassen der Bevoelkerung, insbesondere den im Zensus aufgefuehrten Paroeken und den in Stadt und Land wohnhaften Soldaten, auch den Makedoniern, das staedtische Buergerrecht zu verleihen, um also ein gutes Einverstaendnis in der gesamten Bevoelkerung herbeizufuehren. Offenbar wollte die Buergerschaft, indem sie die Roemer vor die vollendete Tatsache dieser umfassenden Ausgleichung stellte, vor dem eigentlichen Eintreten der roemischen Herrschaft sich gegen dieselbe in Verfassung setzen und den fremden Gebietern die Moeglichkeit nehmen, die Rechtsverschiedenheiten innerhalb der Bevoelkerung zur Sprengung der Gemeindefreiheit zu benutzen. ^17 Diese seltsamen “Heliopoliten” sind, nach der mir von einem Freunde geaeusserten wahrscheinlichen Meinung, so zu fassen, dass die befreiten Sklaven als Buerger einer umgenannten oder auch vielleicht fuer jetzt nur gedachten Stadt Heliopolis sich konstituierter, die ihren Namen von dem in Syrien hochverehrten Sonnengott empfing. —————————————————- Die zahlreichen andern Kleinstaaten und Staedte Vorderasiens, das Koenigreich Bithynien, die paphlagonischen und gallischen Fuerstentuemer, die lykische und die pamphylische Eidgenossenschaft, die Freistaedte Kyzikos und Rhodos blieben in ihren bisherigen beschraenkten Verhaeltnissen bestehen. Jenseits des Halys befolgte Kappadokien, nachdem Koenig Ariarathes V. Philopator (591 – 624 136 – 130), hauptsaechlich durch Hilfe der Attaliden, sich gegen seinen von Syrien unterstuetzten Bruder und Nebenbuhler Holophernes behauptet hatte, wesentlich die pergamenische Politik, sowohl in der unbedingten Hingebung an Rom als in der Richtung auf hellenische Bildung. Durch ihn drang diese ein in das bis dahin fast barbarische Kappadokien und freilich auch sogleich ihre Auswuechse, wie der Bakchosdienst und das wueste Treiben der wandernden Schauspielertruppen, der sogenannten “Kuenstler”. Zum Lohn der Treue gegen Rom, die dieser Fuerst in dem Kampfe gegen den pergamenischen Praetendenten mit seinem Leben bezahlt hatte, ward sein unmuendiger Erbe Ariarathes VI. nicht nur gegen die von dem Koenig von Pontos versuchte Usurpation durch die Roemer geschirmt, sondern ihm auch der suedoestliche Teil des Attalidenreiches gegeben, Lykaorien nebst der oestlich daran grenzenden, .in aelterer Zeit zu Kilikien gerechneten Landschaft. Endlich im fernen Nordosten Kleinasiens gelangte “Kappadokien am Meer” oder kurzweg der “Meerstaat”, Pontos, zu steigender Ausdehnung und Bedeutung. Nicht lange nach der Schlacht von Magnesia hatte Koenig Pharnakes I. sein Gebiet weit ueber den Halys bis nach Tios an, der bithynischen Grenze ausgedehnt und namentlich des reichen Sinope sich bemaechtigt, das aus einer griechischen Freistadt dieser Koenige Residenz ward. Zwar hatten die durch diese Uebergriffe gefaehrdeten Nachbarstaaten, Koenig Eumenes II. an ihrer Spitze, deswegen Krieg gegen ihn gefuehrt (571-575 183-179) und unter roemischer Vermittlung das Versprechen von ihm erzwungen, Galatien und Paphlagonien zu raeumen; allein der Verlauf der Ereignisse zeigt, dass Pharnakes sowie sein Nachfolger Mithradates V. Euergetes (598 ? – 634 156 – 120), treue Bundesgenossen Roms im Dritten Punischen Krieg sowie in dem gegen Aristonikos, nicht bloss jenseits des Halys sitzen geblieben sind, sondern auch der Sache nach die Schutzherrlichkeit ueber die paphlagonischen und galatischen Dynasten behalten haben. Nur unter dieser Voraussetzung ist es erklaerlich, wie Mithradates, angeblich wegen seiner tapferen Taten im Kriege gegen Aristonikos, in der Tat fuer betraechtliche an den roemischen Feldherrn gezahlte Summen, von demselben nach Aufloesung des Attalischen Reiches Grossphrygien empfangen konnte. Wie weit andererseits gegen den Kaukasus und die Euphratquellen das :Pontische Reich sich um diese Zeit erstreckte, ist nicht genau zu bestimmen; doch scheint es den westlichen Teil von Armenien um Enderes und Diwirigi oder das sogenannte Klein-Armenien als abhaengige Satrapie umfasst zu haben, waehrend Gross -Armenien und Sophene eigene unabhaengige Reiche bildeten. Wenn also auf der kleinasiatischen Halbinsel wesentlich Rom das Regiment fuehrte und, so vieles auch ohne und gegen seinen Willen geschah, doch den Besitzstand im ganzen bestimmt, so blieben dagegen die weiten Strecken jenseits des Taurus und des oberen Euphrat bis hinab zum Niltal in der Hauptsache sich selber ueberlassen. Zwar der der Regulierung des Ostens von 565 (189) zugrunde gelegte Satz, dass der Halys die Ostgrenze der roemischen Klientel bilden solle, ward vom Senat nicht eingehalten und trug auch die Unhaltbarkeit in sich selber. Der politische Horizont ist Selbsttaeuschung so gut wie der physische; wenn dem Staate Syrien die Zahl der ihm gestatteten Kriegsschiffe und Kriegselefanten im Friedensvertrag selbst normiert ward, wenn das syrische Heer auf Befehl des roemischen Senats das halb gewonnene Aegypten raeumte, so lag da in die vollstaendige Anerkennung der Hegemonie und der Klientel. Darum gingen denn auch die Thronstreitigkeiten in Syrien wie in Aegypten zur Beilegung an die roemische Regierung. Dort stritten nach Antiochos Epiphanes’ Tode (590 164) der als Geisel in Rom lebende Sohn Seleukos des vierten, Demetrios, spaeter Soter genannt, und des letzten Koenigs Antiochos Epiphanes unmuendiger Sohn Antiochos Eupator um die Krone; hier war von den beiden seit 584 (170) gemeinschaftlich regierenden Bruedern der aeltere Ptolemaeos Philometor (573-608 146-131) durch den juengeren Ptolemaeos Euergetes II. oder den Dicken (+ 637 117) aus dem Lande getrieben worden (590 164) und, um seine Herstellung zu erwirken, persoenlich in Rom erschienen. Beide Angelegenheiten ordnete der Senat lediglich auf diplomatischem Wege und wesentlich nach Massgabe des roemischen Vorteils. In Syrien ward Antiochos Eupator mit Beseitigung des besser berechtigten Demetrios als Koenig anerkannt und mit der Fuehrung der Vormundschaft ueber den koeniglichen Knaben der roemische Senator Gnaeus Octavius vom Senat beauftragt, welcher, wie begreiflich, durchaus im roemischen Interesse regierte, die Kriegsflotte und das Elefantenheer dem Friedensvertrag von 565 (189) gemaess reduzierte und im besten Zuge war, den militaerischen Ruin des Landes zu vollenden. In Aegypten ward nicht bloss Philometors Herstellung bewirkt, sondern auch, teils um dem Bruderzwist ein Ziel zu setzen, teils um die noch immer ansehnliche Macht Aegyptens zu schwaechen, Kyrene vom Reich getrennt und Euergetes mit demselben abgefunden. “Koenige sind, wen die Roemer wollen”, schrieb nicht lange nachher ein juedischer Mann, “und wen sie nicht wollen, den verjagen sie von Land und Leuten”. Allein dies war fuer lange Zeit das letzte Mal, dass der roemische Senat in den Angelegenheiten des Ostens mit derjenigen Tuechtigkeit und Tatkraft auftrat, welche er in den Verwicklungen mit Philippos, Antiochos und Perseus durchgaengig bewaehrt hatte. Der innerliche Verfall des Regiments wirkte am spaetesten, aber wirkte doch endlich auch zurueck auf die Behandlung der auswaertigen Angelegenheiten. Das Regiment ward unstet und unsicher; man liess die eben erfassten Zuegel erschlaffen und beinahe wieder fahren. Der vormundschaftliche Regent von Syrien ward in Laodikeia ermordet; der zurueckgewiesene Praetendent Demetrios entfloh aus Rom und bemaechtigte sich unter dem dreisten Vorgeben, dass der roemische Senat ihn dazu bevollmaechtigt habe, nach Beseitigung des koeniglichen Knaben der Regierung seines vaeterlichen Reiches (592 162). Bald nachher brach zwischen den Koenigen von Aegypten und Kyrene Krieg aus ueber den Besitz der Insel Kypros, welche der Senat zuerst dem aelteren, sodann dem juengeren zugeschieden hatte, und im Widerspruch mit der neuesten roemischen Entscheidung blieb dieselbe schliesslich bei Aegypten. So wurde die roemische Regierung, in der Fuelle ihrer Macht und waehrend des tiefsten inneren und aeusseren Friedens daheim, von den ohnmaechtigen Koenigen des Ostens mit ihren Dekreten verhoehnt, ihr Name gemissbraucht, ihr Muendel und ihr Kommissar ermordet. Als siebzig Jahre zuvor die Illyriker in aehnlicher Weise sich an roemischen Abgeordneten vergriffen, hatte der damalige Senat dem Ermordeten auf dem Marktplatz ein Denkmal errichtet und mit Heer und Flotte die Moerder zur Verantwortung gezogen. Der Senat dieser Zeit liess dem Gnaeus Octavius gleichfalls ein Denkmal setzen, wie die Sitte der Vaeter es vorschrieb; aber statt Truppen nach Syrien einzuschiffen, ward Demetrios als Koenig des Landes anerkannt – man war ja jetzt so maechtig, dass es ueberfluessig schien, die Ehre zu wahren. Ebenso blieb nicht bloss Kypros trotz des entgegenstehenden Senatsbeschlusses bei Aegypten, sondern als nach Philometors Tode (608 146) Euergetes ihm nachfolgte und dadurch das geteilte Reich wiederum vereinigt ward, liess der Senat auch dies ungehindert geschehen. Nach solchen Vorgaengen war der roemische Einfluss in diesen Landschaften tatsaechlich gebrochen und entwickelten sich die Verhaeltnisse daselbst zunaechst ohne Zutun der Roemer; doch ist des weiteren Verlaufs der Dinge wegen es notwendig, auch jetzt den naeheren und selbst den ferneren Osten nicht voellig aus den Augen zu verlieren. Wenn in dem allerseits abgeschlossenen Aegypten der Status quo sich so leicht nicht verschob, so gruppierten dagegen in Asien dies- und jenseits des Euphrat waehrend und zum Teil infolge dieser momentanen Stockung der roemischen Oberleitung die Voelker und Staaten sich wesentlich anders. Jenseits der grossen iranischen Wueste hatten nicht lange nach Alexander dem Grossen am Indus das Reich von Palimbothra unter Tschandragupta (Sandrakottos), am oberen Oxus der maechtige baktrische Staat, beide aus einer Mischung der nationalen Elemente und der oestlichsten Auslaeufer hellenischer Zivilisation sich gebildet. Westwaerts von diesen begann das Reich Asien, das noch unter Antiochos dem Grossen zwar geschmaelert, aber immer noch ungeheuer vom Hellespont bis zu den medischen und persischen Landschaften sich erstreckte und das ganze Stromgebiet des Euphrat und Tigris in sich schloss. Noch jener Koenig hatte seine Waffen bis jenseits der Wueste in das Gebiet der Parther und Baktrier getragen; erst unter ihm hatte der gewaltige Staat angefangen sich aufzuloesen. Nicht bloss Vorderasien war infolge der Schlacht von Magnesia verloren worden; auch die gaenzliche Loesung der beiden Kappadokien und der beiden Armenien, des eigentlichen Armenien im Nordosten und der Landschaft Sophene im Suedwesten, und ihre Verwandlung in selbstaendige Koenigreiche aus syrischen Lehnsfuerstentuemern, gehoert dieser Zeit an. Von diesen Staaten gelangte namentlich Grossarmenien unter den Artaxiaden bald zu einer ansehnlichen Stellung. Vielleicht noch gefaehrlichere Wunden schlug dem Reiche seines Nachfolgers Antiochos Epiphanes (579-590 175- 164) toerichte Nivellierungspolitik. So richtig es auch war, dass sein Reich mehr einem Laenderbuendel als einem Staate glich und dass die Verschiedenheiten der Nationalitaeten und der Religionen der Untertanen der Regierung die wesentlichsten Hindernisse bereitete, so war doch der Plan, hellenisch-roemische Weise und hellenisch-roemischen Kultus ueberall in seinem Lande einzufuehren und seine Voelker in politischer wie in religioeser Hinsicht auszugleichen unter